Die Siegelabdrücke stammen aus Edfu und aus Tell el-Dab'a, dem antiken Avaris, das im nordöstlichen Nildelta Ägyptens, liegt. Der Ort war Hauptstadt der Hyksoskönige (15. Dynastie), die in der Zweiten Zwischenzeit (13.-17. Dynastie), während des Übergangs vom Mittleren zum Neuen Reich, Teile Ägyptens unter ihrer Herrschaft vereinten. Die Grabung in Avaris, dem heutigen Tell el Dab'a, wird seit 1966 vom ÖAI durchgeführt. Die Geschichte des Ortes begann im frühen Mittleren Reich, wo eine große planmäßig angelegt Siedlung entstand. Seit der späten 12. Dynastie (etwa ab 1850 v. Chr.) siedelten sich Asiaten aus der nördlichen Levante an, was zu einer erheblichen Erweiterung der Stadt führte. Die Stadt scheint im ausgehenden Mittleren Reich und vor allem in der Zweiten Zwischenzeit eine eine wichtige Hafenstadt gewesen zu sein. Seefahrt könnte daher mit der Ansiedlung der vorderasiatischen Bewohner in Zusammenhang stehen. Sie sind wohl auch als Träger der Hyksosherrschaft (15. Dynastie) anzusehen.
Bei den Arbeiten des ÖAI wurde in den letzten Jahren ein Verwaltungsviertel der Späteren Zweiten Zwischenzeit (späteren 15. Dynastie) entdeckt, in dem mehr als 1.000 Siegelabdrucke aus der 13. und 15. Dynastie zutage kamen. Einige sind mit königlichen Namen versehen: neben Abdrucken des Königs Chajan, einem der bedeutendsten Herrscher der 15.Dynastie, fand sich auch ein Abdruck, der möglicherweise König Apophis, einem weiteren Hyksosherrscher, zugewiesen werden kann. Ein Siegelabdruck des Chajan ist von besonderem Interesse, denn er wurde in einer Schicht unterhalb des Verwaltungszentrums gefunden. Diese datiert bereits in die frühe Zweite Zwischenzeit. Damit ist der bisher früheste Nachweis für diesen Hyksosherrscher in Tell el-Dab'a entdeckt worden. Siegelabdrucke des Chajan waren bis dahin nur in der Palastanlage von Avaris aus der mittleren bis späten 15. Dynastie bekannt.
Gemeinsam mit neuen Erkenntnissen aus einem anderen Ort Ägyptens lassen diese Ergebnisse die Experten aufhorchen. In Tell Edfu, wo die Mission des Oriental Instituts der Universität Chicago Untersuchungen durchführt (Leitung N. Moeller, G. Marouard), kamen kürzlich ebenfalls Siegelabdrucke mit dem Namen von König Chajan zutage. Die meisten dieser Siegel waren auf Holz kisten angebracht, es wurden aber auch andere Produkte versiegelt. Die Abdrucke wurden in einem gesichert en archäologischen Kontext gefunden. Sie sind mit ägyptischen Siegeln der 13. Dynastie und mit typischer Keramik des Späten Mittleren Reiches bzw. der Frühen Zweiten Zwischenzeit vergesellschaftet. Damit sind sie zeitgleich mit dem frühen Abdruck Chajans aus Tell el-Dab‛a. Die Funde in Tell Edfu waren insofern unerwartet, als Chajan bislang nicht so weit im Süden nachgewiesen werden konnte. Erstmals ist damit auch ein direkter Kontakt zwischen Edfu und den Hyksosherrschern im Norden belegt. Beide Fundkontexte – Tell el-Dab‛a und Edfu – deuten darauf hin, dass König Chajan als einer der frühesten Herrscher der 15. Dynastie regierte und nicht an das Ende der Hyksosperiode gehört, wie bisher meist angenommen.
Ausgehend von diesen neuen Ergebnissen werden die neuen Entdeckungen vor dem Hintergrund alter Funde und deren archäologischen Kontexten evaluiert und die zeitliche Einordnung Chajans samt ihrer Bedeutung für das Verständnis der Zweiten Zwischenzeit diskutiert. Der Festvortrag von Josef Wegner (University of Pennsylvania) wird die jüngst entdeckten Königsgräber in Abydos, die auf eine mögliche ›Abydenische‹ Dynastie, die zeitgleich regierte, vorstellen.