Es ist die weiteste Reise, die steinzeitliche Funde aus dem LWL-Museum für Archäologie in Herne bislang angetreten haben. In fachmännischer Begleitung kamen die Objekte, die der Neandertaler in der Region für sein tägliches Leben brauchte, per Flugzeug nach Finnland. In einem gepolsterten Alu-Koffer gingen die empfindlichen Zeugen der menschlichen Entwicklungsgeschichte in Westfalen zusammen mit Prof. Dr. Michael Baales von der LWL-Archäologie für Westfalen in Olpe auf große Reise. Der Steinzeitexperte war gleichzeitig Kurier auch für weitere Funde aus Nordrhein-Westfalen aus dem LVR-Landesmuseum Bonn. Denn: Die Ausstellung an der Südwestküste Finnlands ist eine museale Kooperation und macht die erste Ausstellung über den Neandertaler in Finnland möglich - aus ebenso aktuellem wie fachlich umstrittenem Anlass.
Unlängst waren in der Region Satakunnan/Satakunta in der so genannten Wolfshöhle Steinwerkzeuge gefunden worden, die dem Neandertaler zugeordnet werden. Diese Deutung ist wissenschaftlich höchst umstritten. Sollte sie stimmen, wäre die Höhle der nördlichste Fundplatz des Neandertalers. Für das Satakunta-Museum, das sich als eines der ältesten Museen Finnlands seit 1888 mit der Natur, Archäologie und Geschichte der Region befasst, sind die spektakulären Entdeckungen Anlass für diese Ausstellungs-Premiere. Da es im Land selbst keine weiteren Funde gibt, sind die Finnen schon vor einiger Zeit in Westfalen und am Rhein mit ihrem Ausstellungsprojekt vorstellig geworden.
Eine Kopie der Knochen aus dem Neandertal hatte bereits per Post den weiten Weg nach Finnland bewältigt. Aus dem LWL-Museum in Herne mussten die Original-Steinartefakte aus einer Sammlung aus Selm-Ternsche, aus dem Halterner See sowie aus der Balver Höhle allerdings gut geschützt auf die Reise zur finnischen Sonderausstellung gehen. "Es handelt sich um empfindliche Kulturgüter, die natürlich entsprechend transportiert werden müssen", sagte Dr. Susanne Jülich vom LWL-Museum in Herne. Die Funde dürfen auch deshalb nicht als simples Gepäck im Bauch des Flugzeugs transportiert werden. Allerdings: "Steine erscheinen im Röntgenbild der Flughafensicherheit schwarz - das kann ebenso zu Problemen führen wie die Tatsache, dass es sich um scharfe Objekte handelt", erklärt sie.
Deshalb ist bereits im Vorfeld sorgfältige Logistik gefragt, auch wenn die Funde rein formell unter den Warenverkehr innerhalb der Europäischen Union fallen. Mit der Fluggesellschaft Finnair wurden alle Sicherheitsbestimmungen abgesprochen. Im Falle von sicherheitstechnischen Bedenken wäre der Koffer von der Fluggesellschaft im Flugzeug untergebracht worden. Baales konnte die Steinartefakte selbst mit an Bord nehmen und in Pori abliefern.
In dem Koffer waren Funde aus Selm-Ternsche im Kreis Unna, darunter Faustkeile, Schaber und Abschläge, die der Neandertaler als Werkzeuge verwendete. Aus dem Halterner See stammen Fäustel, Kerne und Abschläge aus Feuerstein aus der Zeit vor etwa 50.000 bis 80.000 Jahren. Ebenfalls ausgeliehen wurde ein Rengeweih aus Haltern - der fossile Rest eines Tieres, dessen Nachfolger noch heute im hohen Norden beheimatet ist. Insgesamt stammen 27 Fundstücke aus Westfalen, die jetzt das Leben des Neandertalers in der finnischen Sonderausstellung vor Augen führen. In dem Koffer fanden auch noch die Leihgaben aus dem Bonner LandesMuseum Platz. Dabei handelte es sich um zehn Steinartefakte aus Nachgrabungen im Neandertal.
"Die Ausstellung in Pori ist sehr interessant, und die Kooperation ermöglichte außerdem einen angeregten fachlichen Austausch", schildert Baales. Er nutzte den Kurierdienst, um die umstrittenen Steinfunde aus der Wolfshöhle selbst in Augenschein zu nehmen und mit den finnischen Kollegen zu diskutieren.
Die Ausstellung in Pori läuft noch bis September 2014.