Der Einsatz eines Digitalmikroskops ermöglicht die hochauflösende Abbildung, Vermessung und 3D-Darstellung winzigster Ausschnitte der Himmelsscheibe von Nebra. Vor etwas mehr als zwei Jahren wurden mithilfe dieses Verfahrens bereits feinste Goldflitter aufgespürt, die das ursprüngliche Vorhandensein des heute fehlenden, zweiten goldenen Horizontbogens der Himmelsscheibe zweifelsfrei belegten.
Ein ursprünglich aus dem Bereich der Veterinärmedizin stammendes digitales Röntgengerät lieferte zudem neue, besonders detaillierte Röntgenbilder der Himmelsscheibe von Nebra und machte damit bislang verborgen liegendes erkennbar.
Des Weiteren kam ein von José Antonio Soldevilla Gonzales aus der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Roberto Risch von der Autonomen Universität Barcelona entwickeltes Verfahren zur hochauflösenden Digital-Fotometrik zum Einsatz. Die bei dieser Methode entstehenden Texturfotos sind jeweils aus durchschnittlich 120 Einzelaufnahmen zusammengesetzt und können auch als Grundlage für eine dreidimensionale Darstellung genutzt werden. Die Fotogrammmetrie liefert damit eine besonders detaillierte Abbildung der Oberflächenbeschaffenheit der Himmelsscheibe von Nebra. Für das bloße Auge kaum erkennbare Details werden somit deutlich sichtbar.
Die Handschrift des Bogenmeisters
Unter Verwendung der Digitalmikroskopie konnte zum einen nachgewiesen werden, dass die Tauschierrille für den heute fehlenden Horizontbogen in zwei Arbeitsschritten mit zwei unterschiedlichen Meißeln entstand. Zuerst erfolgte eine nicht sehr tiefe Vorzeichnung mit Hilfe eines eher stumpfen Meißels mit gerundeter Spitze. Diese Vorzeichnung diente als Spurrille für den zweiten Arbeitsschritt in dem die Tauschierrille mit einem scharfen Meißel mit v-förmiger Spitze diagonal unterschnitten eingetieft wurde. Diese Vorgehensweise konnte auch an der sogenannten »Probespur« auf der Rückseite der Himmelsscheibe nachgewiesen werden. Hier laufen stumpfere Vorzeichnung und schrägere Nachzeichnung an einem Ende auseinander. Diese »Probespur« diente dem Handwerker, der die Horizontbögen in der zweiten Bearbeitungsphase der Himmelsscheibe anbrachte, zur Prüfung der Materialeigenschaften. Sie kann somit auch als Beleg für die Beteiligung unterschiedlicher Handwerker bei den Umarbeitungen der Himmelsscheibe gelten.
Stahlwolle, Sauzahn und Hammer
Zum zweiten konnten mithilfe der Digitalmikroskopie auch unterschiedliche »Kratzspuren« an den Goldapplikationen der Himmelsscheibe festgestellt werden. So weisen die Goldbleche in einigen Bereichen deutliche Spuren der groben, durch den ersten Hehler erfolgten Reinigung mit Stahlwolle-Pads auf. Die Stahlwolle-Pads hinterließen ein sehr regelmäßiges, dichtes Muster aus tiefen, parallelen Kratzern. In anderen Bereichen waren die Goldapplikationen durch Korrosionsauflagerungen der Bronze geschützt, welche erst im Zuge der professionellen Restaurierung chemisch entfernt wurden. Hier zeigten sich die eher unregelmäßigen, wenig tiefen Polierspuren der Handwerker der Bronzezeit. Dieser Poliervorgang erfolgte aller Wahrscheinlichkeit nach mit einem sogenannten »Sauzahn«, dem Hauer eines Wildschweines, wie er noch bis in die Neuzeit zu diesem Zwecke von Goldschmieden eingesetzt wurde. Das unflexible Polierwerkzeug kam jedoch nicht an tieferliegende Goldflächen heran, sodass sich an diesen Stellen die Abdrücke von Hammerspuren in Gestalt von unregelmäßig, grobkörnigen Strukturen erhielten.
Gluthitze und Nachthimmel
Ebenfalls mithilfe der Digitalmikroskopie konnte die bereits angenommene Schwarzfärbung der Himmelsscheibe nun unzweifelhaft belegt werden. Im Bereich des von der Sonne beziehungsweise dem Vollmond ausgerissenen Goldblechfragments konnten besonders deutlich schwarze Auflagerungen erkannt werden, die ältere Bearbeitungsspuren überlagern. Diese Auflagerungen sind auf der gesamten Himmelsscheibe nachweisbar, erhielten sich unter der Goldabdeckung und auf der Rückseite aber in unabgeschliffenem Zustand. Materialuntersuchungen durch Prof. Dr. Herbert Pöllmann vom Institut für Geowissenschaften der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg zeigten, dass es sich bei diesen Auflagerungen um das Kupferoxid Tenorit handelt. Dieses Oxidationsprodukt entsteht jedoch nicht durch natürliche Korrosionsprozesse bei Bodenlagerung, sondern ausschließlich durch Erhitzung bis zur sanften Rotglut auf ungefähr 800 Grad Celcius. Das Vorhandensein des Tenorits belegt somit ein wiederholtes Durchglühen der Himmelsscheibe. Jedoch nicht nur das: hätten die schwärzlichen Auflagerungen bei einem goldglänzendem Objekt den optischen Eindruck doch erheblich gestört, so war ihre Entfernung bei der Himmelsscheibe schlichtweg nicht nötig, weil sie bereits schwarz patiniert war.
Sonnenbarke: Konzeptionsänderung während des Arbeitsprozesses
Das detaillierte digitale Röntgenbild brachte zum Vorschein, dass die Gestaltung der Sonnenbarke im unteren Bereich der Himmelsscheibe ursprünglich etwas anders geplant war. So ist im Röntgenbild deutlich erkennbar, dass sich die Profilierung der in die Bronze vorgeritzten Sonnenbarke und die Profilierung der Goldblechauflage voneinander unterscheiden. Am wahrscheinlichsten erfolgte hier eine bewusste Konzeptänderung aus ästhetischen Gründen.
Pragmatischer Handwerker
Die fotogrammetrischen Fotos machten es möglich alle auf der Himmelsscheibe von Nebra vorhandenen morphologischen Spuren ganz genau nach Dichte und Tiefe zu bestimmen, verschiedenen Werkzeugen zuzuordnen und zu kartieren. Auf der Rückseite zeigen sich im randlichen Bereich die Schleifspuren eines groben Steinwerkzeugs. Äußerst pragmatisch hat hier ein bronzezeitlicher Handwerker nach der Durchlochung der Himmelsscheibe lediglich den äußeren, zuvor umgearbeiteten Randbereich, nicht aber die ganze Rückseite, abgeschliffen.
Rücksicht auf Vorhandenes
Auf der Vorderseite machten auf Basis der fotometrischen Daten erzeugte 3D-Abbildungen der Himmelsscheibe die Details der Tauschierung sichtbar. So sind beispielsweise an der Sonnenbarke die durch Hämmerung entstandenen, kleinen Bronzezungen zu sehen, die die Goldblechapplikationen einklemmen und damit an Ort und Stelle halten. Im Fall der Barke dienten diese Tauschierschläge zusätzlich zur Erzeugung einer grob ziselierten Fiederung als gestalterischem Element. Auf den fotometrischen Aufnahmen ist deutlich zu sehen, dass diese ansonsten schräg gesetzten Schläge, im Nahbereich des der Sonnenbarke direkt benachbarten Sterns, ihre Ausrichtung ändern. Der Winkel wechselt von diagonal zu fast parallel. Offenbar sollte der bereits vorhandene Stern keinesfalls durch die Tauschierschläge beschädigt werden. Dies ist als weiterer deutlicher Hinweis für die Mehrphasigkeit der Himmelsscheibe von Nebra zu werten.