»Es ging nicht allein darum, die Schuttschicht abzutragen«, erklärt Prof. Dr. Elmar Schwertheim, der mit seinem sechsköpfigen Team von der Forschungsstelle Asia Minor in die Türkei gereist war. Unter den Trümmern waren neben Bruchstücken der umstehenden Gebäude auch tonnenschwere Teile des zwölfeckigen Baus. Es galt, diese meterlangen, kunstvoll verzierten Marmorbauteile, die einst die antiken Fassaden und Säulen schmückten, zu bergen und zu sichern. Dazu benötigten die Wissenschaftler einen 60-Tonnen-Kran.
Die Archäologen legten eine Reihe großer Blöcke mit Hacke und Schaufel zunächst soweit wie möglich frei. Die eigentliche Bergung lief dann innerhalb eines Tages ab. »Das war sehr aufregend – für uns war es der erste Einsatz mit solch schwerem Gerät«, erinnert sich Archäologin Ulrike Rübesam. »Aber der Kranführer war sehr umsichtig – es wurde nichts beschädigt.« Elmar Schwertheim betont: »Zu den Aufgaben von Archäologen gehört eben nicht nur die Arbeit mit 'Schüppchen und Pinselchen'.«
Wieder daheim geht die Arbeit für das Team nun weiter – die Wissenschaftler werten die Daten aus, die sie gesammelt haben. »Es gibt kein vergleichbares Gebäude in der Türkei. Um herauszufinden, welche Bedeutung der zwölfeckige Bau hatte, der wohl aus dem 2. Jahrhundert nach Christus stammt, müssen wir Anhaltspunkte erst einmal vom Symbolgehalt der Zahl Zwölf ableiten. Dieser reicht vom 'Zwölftafelgesetz' über die 'Zwölf Götter Roms' bis zu den 'Zwölf Aposteln'«, erklärt Elmar Schwertheim. Sein Fazit zur Grabungssaison 2011 lautet: »Unsere Ausgrabungen waren wieder ein voller Erfolg. Zwar werden erst die Arbeiten der nächsten Jahre Aufschluss über die Bedeutung der Funde geben, aber wir haben einen verheißungsvollen Anfang gemacht.«
Alexandria Troas
Alexandria Troas war in der Antike eine wichtige Stadt – spätestens seit den Zeiten des römischen Kaisers Claudius, der vor etwa 2000 Jahren gelebt hat. Sie liegt im Westen der Türkei an der Ägäisküste.
Von Anfang August bis Ende September treffen sich die münsterschen Archäologen jährlich mit Wissenschaftlern aus der Türkei und von anderen deutschen Universitäten, um die Grabungen voranzubringen. Seit Beginn des Projektes vor rund zehn Jahren haben die Wissenschaftler unter anderem den zentralen Tempel des römischen Forums (eines großen Platzes im Stadtzentrum) ausgegraben. Einen weiteren Bau – das Odeion, eine Art überdachtes Theater, das neben dem zwölfeckigen Gebäude auf dem Forum steht – haben sie bisher an der Frontseite freigelegt. »Es war vielleicht das Versammlungshaus der ökumenischen griechischen Künstlervereinigung, die zu Beginn des 2. Jahrhunderts nach Christus eine neue Blüte erlebte«, erklärt Elmar Schwertheim . »Eine große Inschrift mit drei Briefen des Kaisers Hadrian an diese Vereinigung zeugt von der Weltgeltung der Stadt.«
Zu Zeiten des Kaisers Claudius besuchte der christliche Apostel Paulus die Stadt mindestens zweimal. Spuren von ihm haben die Wissenschaftler aus Münster in dem schon am Ende des 4. Jahrhunderts vor Christus gebauten großen Stadttor gesucht, durch das auch Paulus einst die Stadt betreten haben muss. In den vergangenen Jahren haben die Archäologen einen spätrömischen Bau an-, aber noch nicht vollständig ausgegraben – möglicherweise handelt es sich dabei um einen Kirchenbau, der an Paulus erinnern soll.
Die Ausgrabungen wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem Historisch-Archäologischen Freundeskreis e. V. in Münster von der SAMSON AG, Frankfurt unterstützt.