Nach der radiometrischen Analyse steht jetzt das Alter der 2019 bei Wasserburg aus dem Bodensee geborgenen Schädelkalotte fest: Sie stammt aus dem 10. bis 9. Jahrhundert vor Christus und gehörte wahrscheinlich zu einer Frau. Damit sind die menschlichen Knochen ungefähr 200 Jahre jünger als der Einbaum, der im Jahr zuvor nur 70 Meter entfernt aus der Eschbachbucht gezogen worden war. Trotz des Altersunterschieds deuten die Knochen auf eine bronzezeitliche Siedlung oder einen Bestattungsplatz in der näheren Umgebung hin.
"Die Datierung der menschlichen Schädelkalotte in die späte Bronzezeit war überraschend, denn eine bronzezeitliche Siedlung am bayerischen Uferrand des Bodensees ist bisher archäologisch nicht gesichert. Die Kalotte liefert nun einen deutlichen Hinweis dafür", sagte Generalkonservator Prof. Dipl.-Ing. Architekt Mathias Pfeil, Leiter des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege.
Aus diesem Grund soll die Suche nach weiteren Hinweisen und Bodendenkmälern noch in diesem Jahr fortgesetzt werden. Übernommen wird sie von der Bayerischen Gesellschaft für Unterwasserarchäologie e. V. (BGfU), die seit über 35 Jahren eng mit dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege zusammenarbeitet. Der vorwiegend ehrenamtlich tätige Verein kümmert sich dabei auch um die Dokumentation und Bewahrung unterwasserarchäologischer Denkmäler in bayerischen Gewässern. In diesem Jahr wollen die Forschungstaucher bestimmte Zonen des Sees und seiner Zuflüsse systematisch erkunden. Unter anderem werden sie Probebohrungen durchführen, um die Bodenablagerungen nach menschlichen Hinterlassenschaften zu untersuchen. Zusätzlich werden die Taucher den Seegrund mit einem Seitensichtsonar-Gerät scannen, das größere Objekte im Boden orten kann. Die vermutete bronzezeitliche Siedlung könnte direkt am Ufer des Sees gelegen haben oder an einem Bach, der in ihn mündet. Denkbar ist aber auch eine Niederlassung weiter im Landesinneren.
Das Schädelstück hatten die Taucher zwischen mehreren bearbeiteten Hölzern entdeckt, wo es gut sichtbar aus dem Boden ragte. Die Archäologen des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege gehen davon aus, dass es dorthin geschwemmt wurde. Dafür spricht seine vom Wasser geschliffene Form und sein Fundort an der Bodenoberfläche und nicht in einer tieferen, den Ablagerungen der Bronzezeit entsprechenden Kulturschicht. So gingen die Archäologen zunächst von einem wesentlich jüngeren Alter des Schädels aus. Weil die umliegenden Hölzer mittels der dendrochronologischen Untersuchung und der C14-Analyse ins frühe Mittelalter datiert wurden, nahmen sie an, dass auch die Knochen aus dem 6. oder 7. Jahrhundert nach Christus stammen. Ihr Ursprung in der Bronzezeit war eine Überraschung.
Begonnen hatten die unterwasserarchäologischen Untersuchungen an dieser Stelle mit der Entdeckung des mehr als 3100 Jahre alten Einbaums und seiner Bergung 2018. Die Forschungen sollten zeigen, ob es sich dabei um einen Einzelfund oder tatsächlich um einen Hinweis auf bronzezeitliche Uferanwohner handelt. Das Gefährt hatte damals viel Aufsehen erregt: Schließlich konnten der Dendrologe vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege in seinem Labor in Thierhaupten ermitteln, dass die Eiche dafür um 1130 vor Christus gefällt worden sein muss. Es ist somit das bislang älteste bekannte Boot Bayerns und der erste Einbaum, der überhaupt aus dem Bodensee geborgen werden konnte. Derzeit liegt er in der Archäologischen Staatssammlung München und durchläuft ein mehrstufiges Konservierungsverfahren, das verhindert, dass er zerfällt, sobald er getrocknet ist. Wenn der Prozess abgeschlossen ist, soll der Einbaum der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die Schädelkalotte befindet sich jetzt in der Staatssammlung für Anthropologie und Paläoanatomie München.