Säbel- und Dolchzahnkatzen, Riesenhyänen, Flusspferde und Elefanten – die Fossilfundstelle Untermaßfeld im thüringischen Werratal ist einzigartig für die Zeit vor gut einer Million Jahre. »Jedes geborgene Fossil hilft uns, das damalige Ökosystem zu verstehen und einen detaillierten Blick in die Erdgeschichte zu werfen«, erklärt Prof. Dr. Ralf-Dietrich Kahlke von der Senckenberg Forschungsstation für Quartärpaläontologie in Weimar und fährt fort: »Die Vielfalt der über 17.000 geborgenen Funde reicht vom winzigen Froschskelett bis hin zum größten Geparden der Erdgeschichte.«
In einer kürzlich im Fachjournal »Journal of Human Evolution« veröffentlichten Studie wurde nun ein neuer »Sensationsfund« aus der Thüringer Fundstelle vorgestellt: Die dortigen Autoren beschreiben mehrere Knochen, die »durch den Menschen mit Werkzeug bearbeitet« wurden. Dies sei der Nachweis für eine Anwesenheit des frühen Menschen vor etwa einer Million Jahre in Mitteleuropa, so der Erstautor und hessische Hobbysammler.
»Wir graben seit den 70er Jahren in Untermaßfeld und kommen auf insgesamt 90 Monate Bergungsaktivität. An der Auswertung unserer Funde und Befunde sind mehr als 30 Forscher aus 20 Instituten des In- und Auslandes beteiligt. Spuren fossiler Hominiden sind uns allen noch nie begegnet«, gibt Kahlke zu bedenken. Für den Weimarer Eiszeitforscher war dies Anlass genug, um gemeinsam mit dem deutsch-niederländischen Archäologen-Team Prof. Dr. Wil Roebroeks (Universität Leiden), Prof. Dr. Sabine Gaudzinski-Windheuser (Universität Mainz) und Prof. Dr. Michael Baales (Universität Bochum) der aufgestellten Behauptung auf den Grund zu gehen.
»Die archäologischen Untersuchungen zeigen deutlich, dass es sich bei den beschriebenen Knochen und Steinen weder um menschliche Werkzeuge handelt, noch dass die Stücke Bearbeitungsspuren aufweisen«, erläutert Kahlke. Die als menschlich verursachte Schnitt- und Hammerspuren beschriebenen Marken an den fossilen Tierknochen, stellten sich bei genauer Betrachtung als »Folgen von Wurzelätzungen, Fraß von Raub- und Nagetieren sowie unsachgemäßer Bergung heraus«, wie Gaudzinski-Windheuser festhält.
Das Wissenschaftlerteam weist zudem nach, dass die »archäologischen Belege« auf fragwürdige Weise in die Hände des Erstautors gelangten. Auch die Angabe der Autoren, die Stücke stammten aus einer »alten DDR-Sammlung«, wurde widerlegt. »Wir dokumentieren die Grabung in Untermaßfeld gewissenhaft mit täglichen Fotoaufnahmen und können daher mit Sicherheit sagen, dass die »,analysierten' Fossilien erst im Zeitraum 2009 bis 2012 aus der Grabungsfläche gebrochen wurden und demnach nicht aus einer alten Sammlung stammen können«, ergänzt John-Albrecht Keiler, Senckenberg-Grabungsleiter in Untermaßfeld.
Das Weimarer Wissenschaftlerteam bringt die beschriebenen Stücke mit einer Serie von Diebstählen zwischen 2002 und 2012 in der Fossilienfundstelle in Verbindung – ausschlaggebend für diese Vermutung ist unter anderem ein fossiler Damhirschknochen, der in einer anonymen Postsendung über das Naturhistorische Museum Schloss Bertholdsburg Schleusingen in die Sammlung der Senckenberg-Forschungsstation gelangte. Kahlke hierzu: »Dieses Knochenfragment wird unter anderem als Teil der von uns widerlegten archäologischen Studie präsentiert – und wurde 2009 nachweislich aus unserer Grabung gestohlen.« Insgesamt wurden etwa 400 Funde in einem möglichen sechsstelligen Gesamtwert entwendet. Mit Unterstützung des Freistaates Thüringen sollen diese Funde nun wieder der Wissenschaft zugeführt werden. »Wir haben in Zusammenarbeit mit den Polizeibehörden unser Sicherheitskonzept nach der Diebstahlserie erheblich ausgebaut. Raubgrabungen und daraus resultierende fehlerhafte wissenschaftliche ‚Erkenntnisse' wird es nun hoffentlich nicht mehr geben«, schließt Kahlke.
Publikation
Uneven Data Quality and the Earliest Occupation of Europe—the Case of Untermassfeld (Germany)
Journal of Paleolithic Archaeology. 27.12.2017
DOI: 10.1007/s41982-017-0003-5