Während des Neolithikums in Europa bezeugen Rinderbestattungen ab circa 3.500 vor Christus ihre Wichtigkeit für die damaligen Gemeinschaften. Einem Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Sonderforschungsbereiches 1266 »TransformationsDimensionen« der Kieler Universität ist mit Hilfe der Analyse von Speiseresten aus Keramiken der Nachweis gelungen, dass Rinder auch für die sogenannten Trichterbecher-Gemeinschaften Norddeutschlands und Südskandinaviens (4.100-2.800 vor Christus) mehr waren als ein einfaches Nutztier. Molekül- und Isotopen-spezifische Analysen von Fettsäuren, sogenannten Lipiden, die aus Gefäßen eines Großsteingrabes bei Wangels in Schleswig-Holstein stammen, offenbaren, dass diese reich verzierten Grabbeigaben überwiegend Rinderfette und Milchprodukte enthielten. Im Gegensatz zu den um 3.100 vor Christus niedergelegten Grabbeigaben enthielten Gefäße aus der benachbarten, zeitgleichen Siedlung Oldenburg-Dannau eine gemischte Zusammensetzung aus Pflanzen- und Milchprodukten. Die ausschließliche Verwendung von Rinderfetten im Kontext von Begräbnissen deutet somit auf die wichtige Rolle des Rindes im rituellen und spirituellen Leben der damaligen Gesellschaft hin.
Erstmals Sanddornöl als Grabbeigabe entdeckt
Eine weitere Besonderheit stellt die Fettsäureverteilung der Lipide aus einer Kugelamphore des Ganggrabes dar, die darauf hinweist, dass das Gefäß Sanddornöl beinhaltete. Ein Nachweis der Gewinnung und Nutzung von Sanddorn durch neolithische Gesellschaften konnte bisher nicht erbracht werden und stellt somit ein Novum dar. Sanddornöl ist reich an ungesättigten sowie gesättigten Fettsäuren, Vitamin C sowie Antioxidantien, was eine medizinische Nutzung, zum Beispiel als Hautpflegemittel, oder die Verwendung als Nahrungsergänzungsmittel nahelegt. Als exklusive und wertvolle Grabbeigabe wurde es in spezifischen Gefäßen wie Kugelamphoren aufbewahrt, welche nicht zur Aufbewahrung tierischer Produkte genutzt wurden. Kugelamphoren sind ein zwischen Schwarzem Meer und Ostsee von circa 3.200 bis 2700 vor Christus verbreiteter Gefäßtyp, der im Gegensatz zu regionalen Keramiken eine weitreichende Verbreitung aufweist. Sollten Kugelamphoren also speziell für wertvolle Öle vorgesehen gewesen sein?
Erkenntnisse über den Lebensstil frühgeschichtlicher Gemeinschaften
Die molekular- und isotopengeochemische Studie ist jetzt in der Fachzeitschrift Journal of Archaeolgical Science veröffentlicht worden und bietet erstmals einen weiteren stichhaltigen Beweis, dass Rinder eine besondere Rolle innerhalb ritueller Handlungen und der spirituellen Sphäre neolithischer Gemeinschaften gespielt haben, die keine offensichtlichen Spuren – wie Rinderbestattungen – hinterließen. Die Grabbeigabe von Pflegeprodukten oder Nahrungsergänzungsmitteln in spezifischen Gefäßtypen zeugt nicht nur vom medizinischen und ernährungsphysiologischen Wissen der damaligen Menschen, sondern auch davon, wie wertvoll ein gesunder Lebensstil gewesen sein muss. Möglicherweise ist hier ein erster Schritt zur Enträtselung der bisher nicht geklärten Ursachen für die großräumige Verbreitung der Kugelamphoren unternommen worden. Die Ergebnisse der Studie bereichern sowohl das Bild trichterbecherzeitlicher ökonomisch-religiöser Sozialgefüge als auch des Kugelamphoren-Phänomens enorm und regen zu einer Erweiterung der Untersuchung von Speiserestanalysen an, um ein tieferes Verständnis über die damaligen Gemeinschaften und menschliches Verhalten im Allgemeinen zu erlangen.
Publikation
Grave gifts manifest the ritual status of cattle in Neolithic societies of northern Germany
Journal of Archaeological Science 117, 105122. Mai 2020
DOI: 10.1016/j.jas.2020.105122
https://www.sciencedirect.com/science/ar...