LWL entdeckt ältestes römisches Marschlager in Haltern am See

Archäologinnen und Archäologen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) haben ein 2.000 Jahre altes römisches Marschlager entdeckt. Schon lange wird das Areal rund um das bekannte römische Hauptlager in Haltern am See (Kr. Recklinghausen) archäologisch erforscht. Die neusten Grabungen brachten das bisher älteste Marschlager für bis zu 20.000 Mann ans Licht.

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Pressetermin
Präsentation der Grabungsergebnisse im LWL-Römermuseum Haltern am See: Archäologin Dr. Bettina Tremmel, LWL-Kulturdezernentin Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger, LWL-Chefarchäologe Prof. Michael M. Rind und Sandra Görtz (Presse- und Öffentlichkeitsarbeit) informieren im Rahmen eines Pressegesprächs über das neu entdeckte Marschlager (v.r.). Foto: LWL /B. Kühlborn

Bereits in den vergangenen Jahrzehnten waren bei archäologischen Ausgrabungen immer wieder kleine Abschnitte von römischen Spitzgräben untersucht worden, doch reichten diese kleinen Entdeckungen nicht für die vollständige Rekonstruktion eines Lagerumrisses. Das neue Lager ist etwa 24 Hektar groß und erstreckt sich nördlich des LWL-Römermuseums, welches die Geschichte der Römer in Westfalen und Ergebnisse langjähriger Forschung am Originalschauplatz Haltern museal präsentiert. Das Lager liegt im Bereich des bekannten Hauptlagers, dessen Westtor vor fünf Jahren im Rahmen des Projekts "Römerbaustelle Aliso" wiederaufgebaut worden ist. Außerdem überschneidet es sich mit dem 34 Hektar großen Feldlager, bei dem es sich um das bislang älteste sicher nachweisbare Marschlager in Haltern handelte.

"Im letzten Jahrzehnt gab es in Westfalen ungewöhnlich lange Trockenperioden, durch die sich sogenannte Bewuchsmerkmale in Getreidefeldern sehr deutlich abzeichnen. Im Luftbild ließ sich dadurch die Grabenstruktur des neuen Lagers sehr deutlich erkennen.", so Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger, Kulturdezernentin des LWL. Schon vor zehn Jahren machte der Luftbildarchäologe Dr. Bao Song von der Ruhr-Universität Bochum Aufnahmen, auf denen nicht nur die Nordwestecke des seit langem bekannten Feldlagers als dunkelgrüne Spur im Feld zu erkennen ist, sondern auch eine zweite, bis dato unbekannte Lagerecke.

"Weitere Nachforschungen gab es damals nicht, da noch im selben Jahr das Römerlager von Olfen entdeckt wurde. Kurz danach starteten die mehrjährigen Ausgrabungen auf dem zukünftigen Gelände der LWL-Römerbaustelle", führt der LWL-Chefarchäologe Prof. Dr. Michael Rind an. Im Anschluss daran erfolgten Prospektionen im bis dahin unbekannten 28 Hektar großen Marschlager in Bielefeld-Sennestadt.

Aus diesen Gründen findet erst seit wenigen Wochen eine Grabung an der südlichen Fortsetzung der Luftbildspur von 2011 in Haltern statt. An dieser Stelle überschneiden sich der Spitzgraben des vor 120 Jahren entdeckten Feldlagers und der erst jetzt bekannt gewordene römische Lagergraben. "An den Bodenverfärbungen in der aufgedeckten Fläche ist zweifelsfrei zu erkennen, dass der Feldlagergraben der jüngere von beiden ist. Im fast zwei Meter tiefen Schnitt durch den Kreuzungspunkt beider Gräben bestätigt sich dies", erklärt Dr. Bettina Tremmel von der LWL-Archäologie für Westfalen.

Im Querschnitt zeichnet sich der neue Graben nur noch als 70 Zentimeter tiefe und 1,30 Meter breite, V-förmige Verfärbung ab. Nach der Aufgabe des Lagers wurde der Graben von den Legionären wieder zugeschüttet und so für eine weitere militärische Nutzung unbrauchbar gemacht. Mögliche Wallreste haben sich aufgrund der intensiven landwirtschaftlichen Nutzung seit dem Mittelalter nicht erhalten.

"Es entspricht der damals üblichen Vorgehensweise römischer Feldzugstruppen, einen Wehrgraben dieser Größe auszuheben, wenn sie für eine Nacht oder wenige Tage an einem Ort biwakierten", erklärt Tremmel. Sie ist wissenschaftliche Referentin für Provinzialrömische Archäologie und beschäftigt sich seit zwei Jahrzehnten mit Römerlagern in Westfalen.

Der Graben des bekannten 34 Hektar großen Feldlagers sei mit drei Metern Breite und 1,6 Metern Tiefe an dieser Stelle doppelt so groß wie der Graben des neu entdeckten Marschlagers. Diese größere Dimension spreche für eine mehrwöchige Nutzungsdauer, so die Expertin weiter. Mit einer Größe von nur 24,2 Hektar ist das neue Lager ganze 10 Hektar kleiner als das Feldlager. Aber auch auf dieser Fläche hätten darin ohne Probleme drei römische Legionen mit etwa 15.000 Mann Platz gefunden, so die Aussage der Fachleute. Hinzu kommen Tross und Hilfstruppen, so dass die Stärke der Feldzugstruppe auf etwa 20.000 Personen geschätzt wird. Auf dem Marsch campierten die Legionäre in Lederzelten. Römische Schriftquellen überliefern, dass eine Legion auf dem Feldzug weniger Platz benötigte als in einem fest ausgebauten Stützpunkt wie dem Hauptlager von Haltern. "Zelte benötigen natürlich weniger Platz als Mannschaftskasernen, die in augusteischer Zeit in Fachwerkbautechnik errichtet wurden", so Tremmel.

"Einen weiteren wichtigen Beitrag zur Klärung des Befundes lieferten 2020 die vom Leiter unserer Prospektionsabteilung Joris Coolen durchgeführten Magnetometer-Messungen," sagt Rind. Sie lassen einen durchgehenden, 65 Meter langen Abschnitt der westlichen Lagerfront erkennen. "Dennoch fehlt uns der exakte Verlauf der Südwestecke des Lagers und die Position des Westtores. Beides hoffen wir im nächsten Jahr ermitteln zu können" erläutert Tremmel.

Auf der Grundlage früherer Grabungsergebnisse ist es möglich, eine rechteckige Form des neuen Marschlagers zu rekonstruieren. Vergleichbare Grundrisse zeigen die ebenfalls in die frühe Besatzungszeit Germaniens datierenden Marschlager von Dorsten-Holsterhausen. "Durch diese Neuentdeckung verdichtet sich weiter das Netz der römischen Militärlager in Westfalen, die von Drusus, Adoptivsohn des Kaiser Augustus, während der ersten Feldzüge nach Germanien in den Jahren 12 und 11 v. Chr. angelegt wurden", führt Rüschoff-Parzinger an.

Luftbild Lagerecken
Luftbild mit abgerundeten Lagerecken des Feldlagers und des neuen Lagers. Foto: LWL-Archäologie / B. Tremmel
Karte mit Lagergrundriss
Umrisse des rekonstruierten Lagers in bunt. Foto: LWL-Archäologie
Gräben im Planum
Überschneidung der beiden Lagergräben. Foto: LWL-Archäologie / B. Tremmel
Grabenprofil
Die beiden Lagergräben im Schnitt. Foto: LWL-Archäologie / B. Tremmel