In der am Donnerstag online im Journal of Human Evolution veröffentlichten Studie vergleichen Manuel Will, Doktorand der Tübinger Abteilung für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie und Mitautor Jay Stock, Anthropologe an der Universität Cambridge, frühe Vertreter unserer Stammeslinie: sowohl Fossilien aus den berühmten ostafrikanischen Fundstellen Olduvai Gorge in Tansania und Koobi Fora in Kenia, der »Cradle of Humankind« in Südafrika, als auch die ältesten menschliche Fossilien außerhalb Afrikas aus Dmanisi in Georgien. Die Forscher fanden markante Unterschiede im Körperbau, die die Existenz von mindestens zwei unterschiedlich großen Arten von Homo zwischen 2,5 bis 1,5 Millionen Jahren vor heute nahe legen. Während Individuen aus Koobi Fora vor 1,7 bis1,5 Millionen Jahren durchschnittlich 70 Kilogramm schwer und 165 Zentimeter groß waren, wiesen in etwa zeitgleiche Vertreter aus Olduvai Gorge im Mittel 20 Kilogramm sowie 20 Zentimeter weniger auf, obwohl sie in der gleichen Region lebten.
Der Vergleich zwischen Fossilien aus Afrika und Eurasien zeigt außerdem, dass frühe Homo-Vertreter erst vor ca. 1,7 bis 1,5 Millionen Jahren in der Koobi Fora Region einen stark vergrößerten Körperbau entwickelten, also nachdem bereits Auswanderungen nach Eurasien stattgefunden hatten. Auch weisen die Fossilien in Georgien noch auf verhältnismäßig kleine Körper hin. Diese Erkenntnisse stehen im Widerspruch zur gängigen Lehrmeinung: Bislang war man mehrheitlich davon ausgegangen, dass Steigerungen in der Körpergröße die physische Voraussetzung waren, um die erste Ausbreitung unserer Gattung nach Eurasien zu ermöglichen.
Da sich die Körpergröße nicht direkt an Fossilien ablesen lässt, muss sie mit mathematischen Formeln berechnet werden. Bisherige Untersuchungen früher Homo-Arten basierten auf sehr kleinen Stichproben, da deren fossile Knochen meistens nur als Bruchstücke vorkommen. Anhand solcher Fragmente, wie zum Beispiel dem Teil eines Oberschenkelknochens, lässt sich zwar oftmals die Gattung, nicht aber die Art mit Sicherheit bestimmen.
In der gemeinsamen Studie der Universitäten Tübingen und Cambridge wurde daher eine Klassifizierung der Fossilien nach Arten bewusst außer Acht gelassen und ausschließlich geographische und zeitliche Differenzen in der Körpergröße von frühen Homo-Vertretern analysiert. Diese beiden Variablen ließen sich einfacher überprüfen und erlaubten zugleich die Vergrößerung der Stichprobe durch die Einbeziehung aller fragmentarischen Knochenüberreste, erläutert Manuel Will. »Durch ihren innovativen Ansatz gelingt es den Forschern, neue Erkenntnisse zur Evolution der Körpergröße innerhalb unserer eigenen Gattung ans Licht zu bringen«, sagt Professorin Katerina Harvati-Papatheodorou, Leiterin der Arbeitsgruppe Paläoanthropologie am Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters der Universität Tübingen.
Die Studie ist die bislang umfassendste ihrer Art und stellt die erste statistische Untersuchung von Körpergrößen-Unterschieden innerhalb früher Homo-Formen dar.
Publikation
Will, M., Stock, J.T., Spatial and temporal variation of body size among early Homo, Journal of Hu-man Evolution (2015), DOI: 10.1016/j.jhevol.2015.02.009
http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0047248415000287