Svante Pääbo, 63, studierte an der Universität Uppsala Ägyptologie und Medizin. Als Doktorand – er promovierte in Immunologie – wies er außerdem nach, dass DNA in altägyptischen Mumien überdauern kann, und erlangte so fachliche Anerkennung als Pionier des neuen Forschungsgebietes der Paläogenetik. Paläogenetiker erforschen die Genome altertümlicher Organismen und ziehen daraus Rückschlüsse auf den Verlauf der Evolution.
Nach seiner Promotion arbeitete Pääbo im Team des Evolutionsbiologen Allan Wilson an der University of California in Berkeley. Ab 1990 leitete er ein eigenes Labor an der Ludwig-Maximilians-Universität München. 1997 wechselte Pääbo als einer von fünf Direktoren an das neu gegründete Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, wo er bis heute tätig ist.
Bereits Mitte der 1990er-Jahre konnten Pääbo und sein Team einen relativ kurzen Bestandteil der Mitochondrien-DNA eines Neandertalers entschlüsseln. Mitochondrien sind winzige Kraftwerke in den Zellen, die diese mit Energie versorgen und über eine eigene DNA verfügen. Diese DNA der Neandertaler unterschied sich deutlich von der heutiger Menschen, womit erwiesen war, dass Neandertaler nicht die direkten Vorfahren jetziger Menschen sind.
Da die DNA-Sequenzierungsmethoden Anfang der 2000er-Jahre sehr viel effizienter wurden, beschloss Pääbo zu versuchen, das komplette Genom der Neandertaler, das im Zellkern vorhanden ist, zu sequenzieren. Jedoch sind deren Knochen nach Jahrtausenden im Boden von Bakterien und Pilzen derart stark besiedelt, dass bis zu 99,9 Prozent der darin gefundenen DNA von Mikroben stammt. Zudem sind die geringen Mengen verbliebener Neandertaler-DNA in kurze Bruchstücke zerfallen, die wie ein gigantisches Puzzle zusammengesetzt werden müssen. Viele Wissenschaftler glaubten, diese Aufgabe sei unlösbar.
Pääbos Team ersann jedoch immer neue Lösungen für die zahlreichen sich auftuenden Probleme. Die Forscher arbeiteten unter »Reinraum-Bedingungen« vergleichbar mit denen in der Chip-Industrie, um zu verhindern, dass sie versehentlich ihre eigene DNA in die Versuche einbrachten, und sie entwickelten effizientere Extraktionsmethoden, die die Ausbeute der Neandertaler-DNA verbesserten. Ferner schrieben sie komplexe Computerprogramme, die die DNA-Schnipsel der altertümlichen Knochen mit Referenz-Genomen von Schimpansen und Menschen verglichen, um das Genom der Neandertaler zu rekonstruieren.
2010 gelang es Pääbos Team, eine erste Version des Genoms der Neandertaler aus Knochen zu rekonstruieren, die Zehntausende von Jahren alt sind. Vergleiche des Neandertaler-Genoms mit den Genomen heutiger Menschen ergaben, dass moderne Menschen und Neandertaler bei ihrem Zusammentreffen vor rund 50.000 Jahren gemeinsamen Nachwuchs gezeugt hatten, als moderne Menschen Afrika verließen und in Europa und Asien ankamen. Folge: Im Genom heutiger nichtafrikanischer Menschen finden sich ca. 2 Prozent Neandertaler-DNA. Dieser genetische Beitrag wirkte sich positiv aus, beispielsweise stärkte er das Immunsystem der modernen Menschen, doch er trägt heute auch zur Anfälligkeit für mehrere Krankheiten bei. »Neandertaler sind die engsten Verwandten des heutigen Menschen«, sagt Pääbo. »Vergleiche ihrer Genome mit denen heutiger Menschen sowie mit denen von Menschenaffen ermöglichen uns zu bestimmen, wann genetische Veränderungen bei unseren Urahnen eintraten.« Dabei könnte künftig auch geklärt werden, warum moderne Menschen schließlich eine komplexe Kultur und Technik entwickelten, die ihnen ermöglichten, fast die ganze Welt zu kolonisieren. Dies erfordert jedoch ein vollständigeres Wissen über das Neandertaler-Genom als das Team 2010 erlangt hatte.
2014 hatte das Team schließlich die Herkules-Aufgabe vollbracht, das Neandertaler-Genom fast komplett zu entschlüsseln, wodurch der Vergleich mit den Genomen heutiger Menschen möglich wurde. »Wir haben ca. 30.000 Positionen gefunden, in denen sich die Genome von fast allen heutigen Menschen von denen der Neandertaler sowie denen der Menschenaffen unterscheiden«, sagt Pääbo. »Sie beantworten, was anatomisch moderne Menschen auch im genetischen Sinn ‚modern‘ macht.« Einige dieser genetischen Veränderungen bilden womöglich den Schlüssel zum Verständnis, was die kognitiven Fähigkeiten heutiger Menschen von anderen nun ausgestorbenen Hominiden unterscheidet.
Svante Pääbos Team gelang 2012 ein weiterer Durchbruch: Es entschlüsselte das Genom aus einem kleinen Knochen, den es in der Denisova-Höhle im westsibirischen Altai-Gebirge gefunden hatte, und entdeckte, dass er von einer bis dahin unbekannten Urmenschen-Gruppe stammte, die es »Denisova-Menschen« nannte. Die Denisova-Menschen waren entfernt mit den Neandertalern verwandt und haben bis zu fünf Prozent zum Genom der heutigen Einwohner von Papua-Neuguinea, der Aborigines Australiens und anderer Gruppen in Ozeanien beigesteuert.
Derzeit arbeiten die Forscher an Methoden, DNA-Fragmente wiederzuerlangen, die sogar noch stärker zersetzt und in noch geringeren Mengen vorhanden sind, verglichen mit dem, was gegenwärtig möglich ist. Ziel ist es, die Erforschung noch älterer DNA sowie alte DNA aus Teilen der Welt, in denen das Überdauern der DNA aufgrund von heißem und feuchtem Klima noch seltener ist, zu ermöglichen.
Der Körber-Preis für die Europäische Wissenschaft 2018 wird Svante Pääbo am 7. September im Großen Festsaal des Hamburger Rathauses überreicht. Mit 750.000 Euro zählt er zu den weltweit höchstdotierten Forschungspreisen. Die Körber-Stiftung zeichnet damit seit 1985 jedes Jahr einen wichtigen Durchbruch in den Natur-oder Lebenswissenschaften in Europa aus. Prämiert werden exzellente und innovative Forschungsansätze mit hohem Anwendungspotenzial. Nach Verleihung des Körber-Preises erhielten bislang sechs Preisträgerinnen und Preisträger den Nobelpreis.