Königspfalz Helfta: Verschwundene Kirche Kaiser Ottos des Großen wiederentdeckt
Bereits vor der Gründung des heute wieder bestehenden Zisterzienserinnenklosters St. Marien zu Helfta im 13. Jahrhundert besaß der Ort vor den Toren der Lutherstadt Eisleben (Lkr. Mansfeld-Südharz) eine immense Bedeutung: Im späten 9. Jahrhundert wird er als »Helpide« und »Helphideburg« im Hersfelder Zehntverzeichnis, einer Abgabenliste der Reichsabtei Hersfeld, erwähnt, im 10. Jahrhundert belegt die Präsenz ottonischer Herrscher die Funktion des Ortes als Königshof und Königspfalz. Nachgewiesen sind zwei Aufenthalte Kaiser Ottos des Großen und seines Sohnes, Ottos II. – im Vergleich mit anderen Pfalzen erscheint das wenig, so dass Helfta lange im Schatten berühmterer mitteldeutscher Pfalzorte wie Memleben oder Quedlinburg stand. Die wichtige Rolle des Platzes wird jedoch durch heimatkundliche und archäologische Feldforschungen erhellt, darunter insbesondere die vor einigen Jahren durchgeführten geophysikalischen Prospektionen des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie: Sie belegen, dass die karolingische Helphidesburg und der ottonische Königshof nicht unmittelbar im heutigen Eislebener Stadtteil Helfta lagen, sondern auf den Anhöhen »Große Klaus« und »Kleine Klaus« westlich der Ortschaft. In beherrschender Lage über dem Tal erstreckte sich hier der ausgedehnte Siedlungs- und Befestigungskomplex, dessen Zentrum die »Kleine Klaus« bildete. Heute erinnert im Ackerland nichts mehr daran, dass mächtige Wallbefestigungen, zahlreiche Grubenhäuser und steinerne Repräsentationsarchitektur hier einst ein wirtschaftliches und politisches Zentrum bildeten, in dem Reichsgeschichte geschrieben wurde.
Die lange verschollenen Überreste der Königspfalz auf der »Kleinen Klaus« stehen seit Anfang Mai 2021 im Mittelpunkt einer Forschungsgrabung des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt (LDA). Bereits in den ersten Wochen erbrachten die Untersuchungen außerordentlich spannende Befunde und Funde. Den Untersuchungsschwerpunkt bilden derzeit die Überreste einer großen Kirche, die nach der Schriftüberlieferung und dem archäologischen Befund mit der Radegundiskirche identifiziert werden kann – einer Gründung Kaiser Ottos des Großen aus der Zeit vor 968.
Wichtige Informationen verdanken wir dem berühmten Geschichtsschreiber Thietmar von Merseburg, der die Kirche in seiner zwischen 1012 und 1018 verfassten Chronik zweimal erwähnt. Für die 970er Jahre berichtet er, dass Kaiser Otto II. die Kirche zu Helfta, die sein Vater Otto der Große errichten und der heiligen Thüringerprinzessin Radegundis hatte weihen lassen, an das Bistum Merseburg überwies. Otto der Große war laut Thietmar zudem höchstselbst anwesend, als Bischof Bernhard von Halberstadt das Gotteshaus feierlich einweihte. Überdies empfing Thietmar im Jahre 1014 in Helfta den Leichnam des mit ihm verwandten Grafen Werner von Walbeck, die er von hier zum Begräbnis nach Walbeck bei Helmstedt bringen ließ. Da die Leiche schon in Verwesung überging, ließ Thietmar die Eingeweide aus dem Körper nehmen und neben der Helftaer Kirche bestatten.
Die Ausgrabungen decken aktuell eine etwa 30 m lange, dreischiffige und kreuzförmige Basilika mit Querschiff und wenigstens einmal erneuertem Ostabschluss (Rechteck- und Halbkreisapsis) auf, die vom 10. Jahrhundert an über ein halbes Jahrtausend hin das Tal dominierte. Die Mauern wurden nach der Reformation komplett abgetragen, doch lassen die Ausbruchgruben und Fundamentreste sowie nicht zuletzt auch Relikte der Ausstattung die Pracht des untergegangenen Bauwerks noch erahnen. Unter den Relikten des Kircheninventars sind u. a. ein romanisches Bronzekruzifix mit Email, das im 13. Jahrhundert in Limoges in Neu-Aquitanien (Frankreich) erzeugt wurde, und das große Bruchstück einer Kirchenglocke zu nennen. Zahlreiche Gräber verteilen sich innerhalb der Kirche und in ihrem Umkreis, darunter Kopfnischengräber und gemauerte Grüfte. Reiche Funde – Münzen, kunstvoll mit Email verzierte Gewandspangen, Trachtstücke, Pilgerzeichen, Tonscherben und vieles andere mehr – belegen nicht nur die Ottonenzeit, sondern auch die karolingische Helphidesburg sowie die Endphase der Siedlung und der Radegundiskirche am Ausgang des Mittelalters.
Die außergewöhnlich stattliche Kirche zeigt, dass Helfta für Otto den Großen eine besondere Bedeutung besaß – worin diese bestand, lässt Thietmar von Merseburg offen. Zur Lösung dieses Rätsels werden die Forschungen beitragen, die in der auf vier Monate (bis Anfang September 2021) ausgelegten Grabungskampagne auch größere Flächen im Umfeld des Gotteshauses untersuchen und dabei Siedlungs- und Befestigungsreste des Mittelalters aufdecken sollen. Doch schon jetzt machen die Ausgrabungsergebnisse deutlich, dass die »Kleine Klaus« von Helfta ein Brennpunkt der Landesgeschichte ist.
»Die Ergebnisse unserer Archäologen sind immer wieder erstaunlich«, so Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff, der sich vor Ort über den Stand der Untersuchungen informierte. »Ich freue mich vor allem über die sensationellen Grabungsergebnisse in Helfta, weil dies einer meiner Lieblingsorte in Sachsen-Anhalt ist. Mit der Identifizierung der Lage der Kirche und der Pfalz wird eine wichtige landesgeschichtliche Lücke geschlossen«.
Das Projekt des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt wird aus Forschungsmitteln des Landes Sachsen-Anhalt finanziert. Projektverantwortlicher ist Prof. Dr. Felix Biermann, wissenschaftlicher Mitarbeiter im LDA und Professor für Frühmittelalterarchäologie an der Universität Stettin (Szczecin, Polen). Im Sommer soll das ständige Grabungsteam durch Studentinnen und Studenten aus Halle, Stettin und Barcelona verstärkt werden, die hier ihr universitäres Grabungspraktikum absolvieren werden.