Kieler Forschungsprojekt zu Entwicklungen in der Jungsteinzeit erhält Shanghai Archaeology Award 2019
Das prämierte Projekt erforscht die Entstehung und Entwicklung neolithischer Großbauten und erster komplexer Gesellschaften im nördlichen Mitteleuropa. Unter Leitung des Kieler Archäologen Professor Johannes Müller untersuchte ein interdisziplinäres Forscherteam die Entstehung erster Kulturlandschaften in Norddeutschland ab ca. 4100 vor Christus. Entscheidend war die Frage, was der Auslöser für die Errichtung von Monumentalbauten wie Großsteingräbern war und vor welchem sozialen und ökonomischen Hintergrund sie entstanden. Im Fokus der Forschungen standen dabei die sogenannten Trichterbechergesellschaften in Norddeutschland und Südskandinavien. Als Schwerpunktprogramm durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft über Jahre finanziert, konnten soziale, kulturelle und ökologische Aspekte, die zur Errichtung der mehr als 70.000 Megalithgräber in Norddeutschland und Südskandinavien führten, untersucht werden.
Um 4100 v. Chr. führten 40 »schlechte« Jahre mit langen Wintern und kalten Sommern zu einer erheblichen Belastung der damaligen Wildbeutergesellschaften. Als Konsequenz fand der Wechsel zur Landwirtschaft statt, verbunden mit landschaftlichen Umgestaltungen. Das bei Klimaverbesserung einsetzende und durch neue Agrartechnologien wie z.B. die Einführung des rindergezogenen Pfluges beflügelte Bevölkerungswachstum hatte soziale Konsequenzen: Kooperative Tätigkeiten, die immer notwendiger wurden, führten zur Errichtung kooperativ errichteter und benutzter Monumente. In diesen gemeinsam errichteten Großsteingräbern, die noch heute Teile der Landschaft Norddeutschlands prägen, wurden Kollektivbestattungen für den gemeinsamen Übergangsritus zum Tod vorgenommen. In ihnen manifestierten sich Gesellschaften, die eine gleichberechtigte Arbeitsweise über Jahrhunderte aufrecht erhielten. Erst um 3100 v. Chr. führten soziale Differenzierungen zur Aufgabe des kooperativen Prinzips. Danach wurden keine Megalithgräber mehr errichtet.
Müller nahm den Preis am vergangenen Sonnabend, 14. Dezember, an der Universität von Shanghai entgegen: »Ich freue mich sehr über diese internationale Anerkennung. Durch unsere Forschung konnten wir neue Erkenntnisse gewinnen, die zu einem tieferen Verständnis prähistorischer Gesellschaften beitragen. Maßgeblich dafür war nicht zuletzt die interdisziplinäre Zusammenarbeit, die uns ermöglicht hat, neben sozialen und kulturellen Aspekten auch Klima- und Umweltfaktoren in unsere Untersuchungen zu integrieren.«
An dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt beteiligten sich im Zeitraum von 2010 bis 2016 rund 25 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nationaler und internationaler Forschungseinrichtungen. Es bildete eine Basis für die Bewerbungen sowohl für den Kieler Sonderforschungsbereich »TransformationsDimensionen: Mensch-Umweltverhältnisse in prähistorischen und archaischen Gesellschaften« als auch das Kieler Exzellenzcluster ROOTS.
Das Shanghai Archaeology Forum (SAF)
Das 2013 gegründete Shanghai Archaeology Forum hat sich der Förderung der archäologischen Erforschung vergangener Kulturen und Zivilisationen weltweit verschrieben, um das Verständnis der menschlichen Vergangenheit und die Relevanz dieses Wissens in der heutigen Welt zu stärken.
Die SAF Awards würdigen Individuen und Organisationen, die sich durch innovative, kreative und exzellente Arbeiten zur Erforschung der menschlichen Vergangenheit auszeichnen und die neue Erkenntnisse hervor gebracht haben, die für Gegenwart und Zukunft von Bedeutung sind. Die Auszeichnungen werden in den zwei Kategorien »archäologische Feldforschung« (Field Discovery Award) und »wissenschaftliche Forschung« (Research Award) vergeben. Die Nominierungen für die Awards erfolgen in zweijährigem Rhythmus und werden durch ein internationales Auswahlkomitee nach internationalen Standards für Exzellenz und Objektivität beurteilt. In jeder Kategorie sind maximal zehn Preisträger möglich.