Karbonatschichten eröffnen Blick in die Römerzeit

Forschende rekonstruieren Entwicklungsgeschichte der Wassermühlen von Barbegal über Karbonatablagerungen

Archäologinnen und Archäologen stehen vor einer schwierigen Aufgabe: Wie lassen sich Informationen über Gebäude oder Anlagen gewinnen, von denen – wenn überhaupt – nur noch Ruinen stehen? Besonders tückisch gestalteten sich die Wassermühlen im südfranzösischen Barbegal aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. – ein einmaliger Komplex von 16 Wassermühlen, jeweils acht auf der östlichen, acht auf der westlichen Seite, die wie in einem Wasserfall von oben nach unten genutzt wurden.

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Wassermühlen aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. im südfranzösischen Barbegal
Ansicht der Anlage von Barbegal im Jahr 2018. Foto/©: Robert Fabre

Bisher war nur bekannt, was sich aus den spärlich erhaltenen Ruinen herauslesen lässt: Die Wassermühlen wurden von einem Aquädukt aus den Hügeln der Umgebung gespeist. Eine Münze von Trajan, in einem Becken oberhalb der Mühlen gefunden, sowie die Baueigenschaften lassen vermuten, dass die Mühle etwa 100 Jahre lang genutzt wurde. Doch die Art der Mühlräder und ihre Nutzungsweise blieben bislang ein Rätsel.

Karbonate enthüllen spannende Zusammenhänge

Prof. Dr. Cees W. Passchier und Dr. Gül Sürmelihindi von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) konnten gemeinsam mit Kollegen aus Frankreich und Österreich die Geschichte der Mühle nun jedoch weiter ausrollen und zwar über im Archäologischen Museum in Arles lagernde Karbonatstücke, also Kalkablagerungen, die sich gegen Ende der etwa hundertjährigen Betriebszeit der Wassermühlen von Barbegal durch das Wasser auf Wänden und Boden des hölzernen Wasserzulaufs gebildet hatten. »Wir konnten zeigen, dass sich die Entwicklungsgeschichte einer Wassermühle über Karbonat zu großen Teilen rekonstruieren lässt«, erläutert Passchier, der das Team leitete. Dazu puzzelten die Forschenden zunächst einen Teil der 140 Stücke zusammen, ordneten sie zu und untersuchten die Schichten anschließend unter anderem per Massenspektrometrie.

Hölzerne Wasserräder und Rinnen wurden ersetzt

Die Ergebnisse veröffentlichte das Forscherteam im renommierten Fachmagazin Geoarchaeology. »Wir konnten beispielsweise zeigen, dass hölzerne Wasserräder und Wasserrinnen nach etwa drei bis acht Jahren ersetzt wurden und dass in einem Fall ein Wasserrad durch ein größeres ersetzt wurde«, sagt Passchier. Dies leiteten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der merkwürdigen Form der Karbonatschicht ab, die sich in der Wasserrinne gebildet hatte: Während die unteren, frühen Schichten auf ein niedriges Wasserniveau schließen ließen, lagerten sich die neueren Schichten bis in eine größere Höhe in der Rinne ab. Floss anfangs also weniger Wasser durch den Zulauf, später dann mehr? Diese Annahme konnten die Forschenden widerlegen. Denn der Wasserstand, so wiesen sie nach, hätte bei einem horizontalen Verlauf nicht ausgereicht, um ein Mühlrad zu betreiben. Daher ist die einzige mögliche Lösung, dass sich die Orientierung des Zulaufs änderte – von ursprünglich steil und daher mit niedrigem Wasserstand zu flacherer Ausrichtung mit dementsprechend höherem Wasserstand. »Wir konnten auf diese Weise rekonstruieren, dass die gesamte Struktur der Wassermühle geändert wurde«, fasst Passchier zusammen. »Denn hängt man den Zulauf steiler, spritzt das Wasser zu sehr und treibt das Wasserrad nicht effizient an – sinnvoll ist eine solche Änderung nur dann, wenn ein größeres Wasserrad verwendet wird.« Ein Karbonatstück, das sich am Wasserrad gebildet hat, untermauert diese Annahme, denn es weist nicht alle Karbonatschichten, sondern nur diejenigen der letzten Betriebsjahre auf.

Isotopenanalyse zur Einordnung der Nutzungsdauer

Selbst die Nutzungszeit der Mühle konnten die Forschenden mithilfe der Karbonatschichten bestimmen – und zwar über eine Isotopenanalyse. Denn das Karbonat enthält Sauerstoff, wobei Sauerstoffisotopen je nach Wassertemperatur in einem anderen Verhältnis vorliegen. Über die Isotopenzusammensetzung in den Karbonatschichten konnten die Forschenden daher auf die Wassertemperatur und somit auf die Jahreszeiten schließen. Das Ergebnis: Das Karbonat, das im Museum von Arles lagert, wurde über einen Zeitraum von sieben bis acht Jahren in den Wasserkanälen abgelagert. »Die oberste und damit jüngste Karbonatschicht enthält Muschelschalen und Holzstückchen – die Mühle wurde also aufgegeben. Zwar lief das Wasser zunächst weiter, wodurch sich auch das Karbonat weiterhin ablagerte, doch wurde der Zulauf nicht mehr regelmäßig gesäubert«, erläutert Passchier.

Ein weiteres Rätsel konnten die Forschenden ebenfalls knacken. So war bisher nicht bekannt, ob die Anlage als »Komplettanlage« von einem einzigen Betreiber genutzt oder aber die 16 Wasserräder unabhängig voneinander eingesetzt wurden. Den Schichten von drei untersuchte Wasserrinnen zufolge, die sich deutlich voneinander unterscheiden, wurden die Mühlen unabhängig voneinander betrieben – zumindest gegen Ende ihrer Nutzungsdauer. Zudem wurde die Westseite der Anlage deutlich früher aufgegeben als die Ostseite. Letztlich wurden längliche Karbonatstücke aus den Wasserkanälen später, nachdem die Mühlen bereits aufgegeben worden waren, als Trennwände in einem Wasserbecken für andere industrielle Zwecke verwendet.

Querschnitt eines Karbonatfragments mit Holzabdruck
Querschnitt eines Karbonatfragments aus den Mühlen von Barbegal. Die Ablagerung hat sich auf dem Holz der Mühlräder gebildet und zeigt Abdrücke von Holz und Spuren der Holzbearbeitung. Foto/©: Philippe Leveau
Skizze der römischen Mühlenanlage
Skizze der Anlage mit Darstellung von drei Wasserbecken mit Mühlrädern und Wasserrinnen: Die unteren Becken besaßen möglicherweise ellenbogenförmige Rinnen. Bild/©: Cees Passchier
Publikation

C. W. Passchier et al.

Operation and decline of the Barbegal mill complex, the largest industrial complex of antiquity

Geoarchaeology. 13.06.2024
DOI: 10.1002/gea.22016
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1...