In Verbindung mit der Inschrift einer Stützmauer können die Geowissenschaftler rekonstruieren, dass der Aquädukt im Winter 51/52 n.Chr. eingeweiht wurde und dass sich das Erdbeben, das einen Teil zerstörte, 68 n.Chr. ereignete. Damit steht ein Klimaarchiv für die Südwesttürkei während der Herrschaftszeit Neros zur Verfügung. Es zeigt, dass auf eine warme und eher feuchte Periode eine Abkühlung und trockenere Phase folgte. "Der Aquädukt liefert uns Daten über die tatsächlichen klimatischen Bedingungen, die das Schicksal des Römischen Reiches mit bestimmt haben", sagt Prof. Dr. Cornelis Passchier, der die Untersuchungen geleitet hat. "Viele Fragen in dieser Hinsicht sind aber noch offen."
Während des Römischen Reiches wurden mehr als 1.700 Langstrecken-Wasserleitungen und Tausende von kleineren Aquädukten gebaut, um Trink- und Badewasser für Städte, Privathäuser und Badeeinrichtungen bereitzustellen. Häufig stammte das Wasser von Karstquellen, die das ganze Jahr hindurch sprudelten. In den Leitungen bildeten sich Kalkablagerungen, die Veränderungen in der Wassertemperatur, Verdunstung, Schüttung und Zusammensetzung ebenso anzeigen wie umweltbedingte oder menschengemachte Einflüsse. "Die Kalkablagerungen stellen ein weitgehend unberührtes Archiv für das Paläoklima, die Paläoseismologie und Archäologie dar", erklärt Passchier. Die Mainzer Arbeitsgruppe gehört zu den Vorreitern auf diesem Gebiet und verfügt über eine Sammlung von mehr als 400 Kalkproben von über 70 antiken Aquädukten.
Die frühere römische Hafenstadt Patara, in der heutigen Provinz Antalya gelegen, wurde über einen 23 Kilometer langen Aquädukt mit Wasser von einer Quelle aus den Bergen versorgt. Das Wasser floss über ein Gefälle von 612 Metern weitgehend ohne Druckleitungen, ausgenommen ein Stelle, wo ein 20 Meter tiefes Tal mit einem Siphon-System überwunden wurde. Sowohl die abwärts führenden als auch die aufwärts führenden Leitungen des Siphons, der zwischen 380 und 500 Meter lang war und als Delikkemer bezeichnet wird, weisen Kalkablagerungen auf. Die untersuchten Keramikleitungen gehörten noch zu dem alten Bauwerk, bevor es von dem Erdbeben zerstört und später rekonstruiert wurde.
Von diesem Beben berichtet auch die Inschrift, die auf beiden Seiten der Stützmauer angebracht ist und die im Detail beschreibt, wie die eingestürzte Mauer des Aquädukts auf Befehl von Vespasian wieder aufgebaut werden sollte. "Es ist ungewöhnlich, dass auf antiken Wasserleitungen derart genaue technische Informationen über den Bau und die Reparatur eines Aquädukts zu finden sind", erklärt Dr. Gül Sürmelihindi, die für die Arbeiten vor Ort zuständig war. Die Mainzer Geowissenschaftler haben daher in Zusammenarbeit mit dem Institut für Geologie der Universität Innsbruck die Isotopenverhältnisse in den Kalkablagerungen untersucht und dabei deutliche Jahresmuster gefunden. Sie bestätigen die Angaben der Inschrift und ermöglichen eine präzise Datierung der Inbetriebnahme der Wasserleitung im Winter 51/52.
Die Isotopenverhältnisse von Sauerstoff und Kohlenstoff in den Kalkablagerungen geben darüber hinaus Informationen über Luft- und Wassertemperaturen sowie Niederschläge preis. Damit kann für die Zeit von Neros Herrschaft zwischen 54 und 68 n.Chr. ein recht detailliertes Klimabild gezeichnet werden: Eine anfänglich wärmere Periode ging mit höheren Niederschlägen einher, während die Abkühlung seit Beginn der zweiten Hälfte von Neros Herrschaft von einem Rückgang der Niederschlagsmenge begleitet war.
Der Patara-Aquädukt kann nach Einschätzung der Wissenschaftler im Licht der imperialen Strategie gesehen werden, die in Reaktion auf wiederkehrende Hungersnöte in Rom ergriffen wurde. Denn der Aquädukt wurde nach der Annexion Lykiens gebaut, als Patara zu einem Handelszentrum im Mittelmeerraum und wichtige Station für die Versorgung Roms mit Getreide aus Ägypten wurde.
Publikation
Cornelis Passchier, Gül Sürmelihindi, Christoph Spötl
A high-resolution palaeoenvironmental record from carbonate deposits in the Roman aqueduct of Patara, SW Turkey, from the time of Nero
Scientific Reports, 30. Juni 2016
DOI:10.1038/srep28704