Der Kulturwissenschaftler und Ägyptologe Prof. Dr. Jan Assmann ist neuer Hans-Blumenberg-Gastprofessor am Exzellenzcluster "Religion und Politik" der WWU. Er befasst sich am Forschungsverbund mit den Wirkungen der Digitalisierung auf sein Konzept des Kulturellen Gedächtnisses sowie mit dem Verhältnis von Religion und Kultur vom Alten Ägypten über frühe Formen des Judentums bis zum Christentum in der Moderne. "Jan Assmann nimmt seit Jahrzehnten das Verhältnis von Religion und Politik von antiken Kulturen bis zu neuzeitlichen Gesellschaften in den Blick, die sich auf diese beziehen. Damit hat er dem Exzellenzcluster maßgeblich Impulse gegeben", so die Ägyptologin Prof. Dr. Angelika Lohwasser und der katholische Theologe Prof. Dr. Johannes Schnocks. "Wichtige Anregungen hat uns auch sein Konzept des Kulturellen Gedächtnisses gegeben. Wir erörtern mit ihm, wie sich die globale Internet-Nutzung in dieser Hinsicht auf Kulturen auswirkt."
"Den Ausgangspunkt unseres Workshops mit Jan Assmann über das kulturelle Gedächtnis in Zeiten des digitalen Medienwandels bildet die Vorstellung, dass Kultur mittels Regeln und Werten Menschen untereinander verbindet und durch die Erinnerung an eine gemeinsam geteilte Vergangenheit eine Brücke vom Gestern zum Heute bildet", so Angelika Lohwasser. "Bilder und Schrift ermöglichen dabei Rückgriffe auf Vergessenes." Erörtert werden soll etwa, ob Algorithmen von Suchmaschinen zu einer kulturellen Segmentierung führen, weil nur noch spezifisch zugeschnittene Inhalte sichtbar werden, und wie es sich auswirkt, wenn ursprüngliches Spezialistenwissen global zugänglich wird. Der Workshop beleuchtet über die historische Dimension hinaus die möglichen Prozesse der Veränderung im Konzept des Kulturellen Gedächtnisses.
Der Blumenberg-Gastprofessor sagte im Vorfeld zum Thema seines öffentlichen Vortrags: "Im Alten Ägypten war Religion mit Kultur identisch. Religion war allumfassend und am besten mit dem ägyptischen Begriff 'Ma'at' wiederzugeben, der Kult, Recht und kosmische Ordnung umfasste." Mit Israel sei im 6. Jahrhundert vor Christus eine neue Form von Religion entstanden, die zwischen Religion und Kultur unterschied und die die Kultur der Religion unterstellte. "Diese Religionsform emanzipiert sich auch vom Staat." Das Christentum habe dann das "Zeitalter des Glaubens" heraufgeführt, "indem es die neue Religion allen Völkern zugänglich machte und durch seine rasche Ausbreitung die Alte Welt revolutionierte". Im christianisierten Abendland hätten sich neue Spannungsverhältnisse zwischen Religion und Staat sowie zwischen Religion und Kultur herausgebildet.
Zum Programm der Blumenberg-Gastprofessur gehört auch eine Masterclass "Religion – Gewalt – Gedächtnis", in der Jan Assmann mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs des Forschungsverbundes sowie fortgeschrittenen Studierenden arbeitet. Die Gruppe befasst sich mit religiöser Gewalt und Erinnerungskulturen und verbindet historische, religionswissenschaftliche, theologische und kulturwissenschaftliche Fragestellungen.
Die "Hans-Blumenberg-Gastprofessur für Religion und Politik" – benannt nach dem einflussreichen Münsteraner Philosophen Hans Blumenberg (1920–1996) – soll dazu beitragen, innovative Impulse aus der internationalen Forschung nach Münster zu bringen, und die interdisziplinäre Anschlussfähigkeit am Exzellenzcluster stärken.
Ein öffentlicher Abendvortrag mit dem Titel "Religion und Kultur: Ägypten – Israel – Abendland" findet am 2. Februar via Zoom statt.