»Dieser kulturelle Schatz im Nordosten von Assuan ist bisher weitgehend undokumentiert, geschweige denn publiziert«, sagt der Ägyptologe Prof. Dr. Ludwig Morenz von der Universität Bonn. Die Felsbilder finden sich an zahlreichen und oft abgelegenen Orten in ausgetrockneten Flusstälern, die auf Arabisch »Wadis« genannt werden.
Zugleich sind gerade die auf den ersten Blick manchmal unscheinbaren Felsbilder insbesondere durch aktuelle Steinbruchaktivitäten in der Wüste schwer bedroht. »Gerade in den letzten Jahren kam es bereits zu gravierenden Zerstörungen dieses Kulturgutes«, sagt Morenz, der auch Mitglied im Exzellenzcluster Bonn Center for Dependency and Slavery Studies (BCDSS) und im Transdisziplinären Forschungsbereich »Present Pasts« der Universität Bonn ist. »Solche Verluste sind angesichts der Weite des Gebietes kaum ganz zu verhindern, aber umso wichtiger ist zumindest eine gute Dokumentation.«
Großer Schatz für die Wissenschaft
Zusammen mit dem Inspektorat von Assuan des Ägyptischen Antikenministeriums hat die Ägyptologie der Universität Bonn bereits vereinzelt Inschriften auf Felsen dokumentiert. »Diese Felsbilder sind ein großer Schatz für die Wissenschaft, der in Zusammenarbeit der Universität Bonn, des Ägyptischen Antikenministeriums und speziell des Assuaner Inspektorats in den nächsten Jahren systematisch erschlossen werden soll«, sagt Mohamed Abdel Hay Abu Baker, der im Inspektorat von Assuan speziell für die Erforschung der Felsbilder zuständig ist.
Abu Baker wird im Zuge einer Promotion an der Aswan University in Assuan nun zusammen mit der Universität Bonn eine umfassende Datenbank mit Bildarchiv zu den Felsbildern aufbauen. Hierfür fördert die Exzellenz-Universität Bonn den Inspektor des Ägyptischen Antikenministeriums für ein Jahr mit einem Stipendium aus Exzellenzmitteln von Bund und Ländern. Prof. Morenz ist Zweitbetreuer der Dissertation.
Zeugnis aus der Zeit vor den Pharaonen
Mit dem Projekt sollen die Hunderte Felsbilder im Süden Ägyptens nun systematisch erfasst werden. »Die ersten neu erschlossenen Quellen werfen ein neues Licht auf die vor-pharaonische Zeit des Vierten Jahrtausends und die Bedeutung der sozio-kulturellen Peripherie«, sagt Morenz.
Unter den Bildern, die Abu Baker bei seinen Erkundungen im Feld aufnahm, stach dem Ägyptologen der Universität Bonn besonders eines ins Auge. Aus dieser Zeit hoher Kulturdynamik im Assuaner Raum des späteren Vierten Jahrtausends stammt eine bisher einzigartige Szene, die Einblick in Religion und Kultpraxis bietet. Dargestellt ist über die Unebenheiten und Kanten des Felsens hinweg, wie ein Boot von 25 Männern mit erhobenen Armen an einem Seil gezogen wird.
Eindrücklich ist hier offenbar ein Ritual gezeigt – und zwar die große Prozession eines Götterbildes, so Morenz. Dies werde an Bilddetails deutlich: dem Boot mit Schrein und Standarte und insbesondere den Rinderhörnern, wie sie typisch für die sakrale Bildsprache sind. »Dieses Felsbild eröffnet uns Einblicke in die sakrale Gestaltung einer scheinbar abgelegenen Landschaft, des in der Forschung noch weitestgehend unbekannten Wadis al Agebab«, sagt der Ägyptologe.
Auf diesen Anfängen der bildlichen Inszenierung von Religion gründe die ganze spätere pharaonenzeitliche Kultur. Morenz: »Dabei zeigt sich die hohe Bedeutung der Religion und speziell des Götterkultes in der noch präägyptischen Gesellschaft der zweiten Hälfte des Vierten Jahrtausends als ein Kultur schöpfender Faktor.«