Malereien von Jagdszenen in der prähistorischen Höhle von Lascaux in Frankreich, Zeremonien und Körperbemalungen von indigenen Völkern weltweit, Kunstwerke aus dem Mittelalter – seit jeher wird Ocker, ein natürlich vorkommendes, lichtechtes Erdmineral von Menschen als Farbstoff und für rituelle Zwecke genutzt. »Man kann sagen, dass Ocker das früheste bekannte Pigment ist, das von Menschen verwendet wurde, um unsere Welt abzubilden«, erklärt der Leiter der Studie Dr. Gregor D. Bader vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen und fährt fort: »Unsere Spezies und andere Homininen verwenden das rote, gelbe oder auch violette Erdmineral seit mindestens 500.000 Jahren – wenn nicht sogar schon länger.«
In der bislang umfangreichsten Studie zur Ockernutzung in Afrika hat Bader nun mit einem internationalen Forschungsteam untersucht, wie das Erdmineral südlich der Sahara genutzt wurde. Anhand von 173 Proben aus fünfzehn steinzeitlichen Fundstellen rekonstruierten die Forschenden die regionalen Netzwerke der Mineralauswahl, des Abbaus, des Transports und der Verwendung von Ocker.
»Uns hat die komplette Ocker-Handlungskette interessiert: Von der Auswahl des Minerals aus verschiedenen geologischen Formationen, deren Abbau, die Beimischung weiterer Stoffe, wie Milch, Fett, Blut und Pflanzenharze als Bindemittel, bis zum Transport an die archäologischen Fundorte«, erläutert der Tübinger Wissenschaftler und weiter: »Wie wurde das Wissen zur Ockergewinnung weitergegeben? Gab es einen Austausch zwischen verschiedenen Jäger-Sammler-Gruppen? Und gibt es regionale oder zeitliche Unterschiede?«
In der neuen Studie zeigen die Wissenschaftler*innen aus Eswatini, den USA und Europa, dass es sowohl lokale Strategien zur Ockerbeschaffung gab als auch Ferntransporte des wichtigen Minerals über ein Netzwerk verschiedener Minerallagerstätten stattfanden. Die archäometrischen Untersuchungen an fünfzehn archäologischen Stätten legen nahe, dass es offenbar eine langjährige kulturelle Kontinuität in der generationsübergreifenden Weitergabe von Wissen zur Ockergewinnung und -nutzung gab, die auch geologische Gegebenheiten oder gewünschte physikochemische Eigenschaften von Mineralpigmenten umfasste. Diese Praxisgemeinschaften entwickelten sich nicht isoliert, sondern waren Teil eines umfassenderen Beziehungssystems, das durch soziale Interaktionen wie technologisches Lernen, saisonale Wanderungen, den Austausch materieller Kultur und symbolischen Ausdruck beeinflusst und vermittelt wurde, heißt es in der Studie.
»Unsere Daten untermauern die Annahme, dass Jäger und Sammler in der Steinzeit in Eswatini sehr mobil waren und für den Transport von Ockerpigmenten teils auch weite Strecken zurücklegten«, so Bader. Bemerkenswert ist, dass sich solche Traditionen in Eswatini bis in die Gegenwart fortsetzen. So sei aus ethnografischen Untersuchungen bekannt, dass beispielsweise Pflanzenheiler auf Wanderschaft gehen, um mineralische Erdpigmente für Mal- und Heilungszeremonien zu sammeln. Ocker gilt außerdem als ein wichtiger Bestandteil einer Hochzeitszeremonie – die Braut wird dabei am Morgen der Hochzeit mit rotem Ocker und Tierfett bestrichen, um ihren neuen Status in der Gemeinschaft zu signalisieren.
»Unsere aktuelle Arbeit zeigt eindrücklich, dass Forschende aus Eswatini führend bei der Erforschung steinzeitlicher Ockerquellen sind und das Land einen ungemeinen Reichtum dieses wichtigen Farbstoffes birgt. Neben der Aufschlüsslung der Ocker-Austauschkette konnten wir im Rahmen der Studie auch mit Hilfe der Optisch Stimulierten Lumineszenz-Datierung nachweisen, dass es sich bei der ‚Lion Cavern« von Ngwenya mit etwa 48.000 Jahren um die ältesten bekannten Belege für intensiven Ockerabbau weltweit handelt. Außerdem sehen wir hier einen der ältesten Nachweise, wie Menschen aktiv das Erscheinungsbild ihrer Umwelt veränderten«, schließt Bader.