Seit langem ist bekannt, dass Portus Ostiensis Augusti, so der vollständige Namen des Hafens, in der römischen Kaiserzeit die Rolle einer wichtige Drehscheibe im Handel zwischen Rom und dem Mittelmeerraum innehatte. Da der ältere, direkt an der Tibermündung liegende Hafen von Ostia zunehmend versandetet, wurde vier Kilometer nördlich an der Mündung eines Tiber-Nebenarmes Portus als neuer Hafen von Kaiser Claudius im Jahr 42 n. Chr. gegründet. Die mittels eines Kanales an den Tiber angebundene Hafenanlage übernahm rasch die Aufgaben von Ostia und wurde im 2. Jahrhundert n. Chr. um ein 39 Hektar großes markantes sechseckiges Hafenbecken erweitert, das noch heute deutlich sichtbar ist.
Die im Portus Project zusammengeschlossenen Archäologen der Universität von Southampton, der British School at Rome sowie der Cambridge Universität untersuchen bereits seit einigen Jahren die Entwicklung und Bedeutung des Hafens. Mitausnahme eines Gebäudes am Tiber bei Monte Testaccio und einem kleinerem im benachbarten Ostia, konnte allerdings bis heute noch kein größeres Werftgebäude eindeutig identifiziert werden. In der diesjährigen Grabungskampagne hat das Team nun mitten im Zentrum des Hafenkomplexes, unmittelbar am sechseckigen Bassins - dem sogenannten Trojanischen Hafen - die Überreste eines riesigen Gebäudes entdeckt.
Das Gebäude datiert aus dem 2. Jh. n.Chr. und dürfte um die 145 m lang und 60 m breit gewesen sein. Zumindest an einigen Stellen könnte sein Dachfirst eine Höhe von bis zu 15 m erreicht haben. Große, mit Ziegel verkleidete Betonsäulen und -pfeiler, einige bis zu drei Meter breit und teilweise noch erhalten, stützten Holzdachkonstruktionen, die sich über mindestens acht nebeneinander liegende Gelasse (die einzelnen Werkhallen der Werft) erstreckten.
Das Gebäude erfuhr seit seiner Errichtung mehrfache Umbauten und Umnutzungen. Wie die Ausgrabungen ergaben, legte man knapp 100 Jahre nach Inbetriebnahme der Werft im Inneren der Gelasse neue Unterteilungen an, deren genaue Funktion noch nicht bekannt ist. Im späten 5. Jh. n. Chr. erfuhr das Gebäude eine komplette Umnutzung und wurde als Getreidespeicher ausgebaut. Mitte des 6. Jh. n. Chr. erfolgte schließlich seine systematische Zerstörung, vermutlich in Zusammenhang mit Verteidigungsmaßnahmen des langsam zerfallenden Weströmischen Reiches.
»Zu Anfang dachten wir, dass dieses große Gebäude als Lagerhalle genutzt wurde, aber die neuesten Grabungen haben Hinweise auf eine weitere, frühere Nutzung ergeben, die mit dem Bau von Schiffen und deren Wartung zusammenhing. Und falls sich unsere Annahme als Richtig erweist, wäre es die größte derartige Anlage in Italien, ja sogar des gesamten Mittelmeerraums«, erläutert Portus-Projektleiter Prof. Simon Keay von der University of Southampton
»Es handelte sich um ein weitläufiges Gebäude«, so führt Keay weiter aus, »in dem Holz, Segeltuch und andere Gegenstände leicht hätten untergebracht werden können und das auf alle Fälle groß genug für den Bau oder die Lagerung von Schiffen gewesen wäre. Die Ausmaße, Position und Einzigartigkeit des Gebäudes lassen den Schluss zu, dass es eine bedeutende Rolle in den Werftaktivitäten gespielt haben muss«.
Weitere Hinweise auf die Existenz einer Werft liefern in Portus geborgene Inschriften, in denen von den corpus fabrum navalium portensium – einer Schiffsbau-Zunft - zu lesen ist, sowie ein im Vatikanischen Museum befindliches Mosaik, das die Fassade eines ähnlichen Gebäudes wie in Portus zeigt, auf dem eindeutig Schiffe in den einzelnen Werkhallen zu erkennen sind. Um zusätzliche Informationen über die Strukturen des Gebäudes zu erhalten, untersuchten u.a. Fachleutedes Archaeological Prospection Services of Southampton die noch nicht ergrabenen Teile mit geophysikalischen Methoden. Mit Hilfe dieser Daten und den Ergebnissen der Ausgrabungen konnte die von Dr. Graeme Earl geleitete Archaeological Computing Research Group in Southampton eine Computerrekonstruktion des Gebäudes erstellen. Sie liefert wichtige Informationen über den Grundriss und die Konstruktion und vermittelt eindrücklich das antike Erscheinungsbild des Gebäudes.
Mit Nachdruck weist Keay allerdings darauf hin, dass sein Team bis jetzt noch keinerlei Reste von Rampen entdeckt hat, die für den Stapellauf der Schiffe in das Hafenbecken notwendig sind und der letztendliche Nachweis einer Werft wären. Mit etwas Glück könnten sie sich unter der heutigen Uferbefestigung aus dem frühen 20. Jahrhundert erhalten haben. Möglicherweise wurde die Rampen aber auch im Laufe der Jahrhunderte komplett zerstört.
2009 untersuchte das Portus-Project-Team schwerpunktmäßig die Überreste zweier Gebäude, die sich unmittelbar neben dem jetzt entdeckten »Werftgebäude« befinden: ein sog. »Kaiser-Palast« und ein wie ein Amphitheater geformtes Gebäude. Keay interpretiert diese drei Gebäude als einen Komplex, von dem aus römische Beamte die Bewegungen der Schiffe im Hafen sowie deren Be- und Entladungsvorgänge koordinierten und überwachten.
In Zusammenarbeit mit Angelo Pellegrino von der Antikenverwaltung in Rom möchten die britischen Archäologen frühere Ausgrabungen weiterführen und die noch erhaltene Reste des »Kaiser-Palastes« restaurieren. Zukünftig sind weitere Grabungen in der Hafenanlage geplant, um die innere Entwicklung des Hafen besser zu verstehen und dem Boden von Portus weitere Informationen zum antiken römischen Seehandel zu entlocken.
Ermöglicht wurde die neueste Grabungskampagne durch einen Zuschuss des Arts and Humanities Research Councils (AHRC) in Höhe von £ 640.000. Die AHRC-Mittel haben zusammen mit der finanziellen Unterstützung der Antikenverwaltung in Rom, der University of Southampton und der British School at Rome die in diesem Jahr sehr umfangreichen Forschungsarbeiten erlaubt.