Händler und Zuckerrohrsieder im Kalifenpalast: Khirbat al-Minya gibt erste Geheimnisse preis
Archäologen der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) haben im September mit Ausgrabungen im frühislamischen Kalifenpalast Khirbat al-Minya am See Genezareth in Israel begonnen. Unter Leitung von PD Dr. habil. Hans-Peter Kuhnen wollen sie herausfinden, wie das Gelände vor dem Bau des Palastes aussah und wie sich die Nutzung der Anlage nach der Erdbebenkatastrophe des Jahres 749 änderte. Durch die Erschütterungen war der noch im Bau befindliche Palast erheblich beschädigt worden. Wie erste Ergebnisse der neuen Grabung zeigen, hat das Gebäude seine Palastfunktion durch das Erdbeben eingebüßt und wurde fortan nur noch von Handwerkern, Händlern und Zuckerrohrbauern genutzt.
Unter den Kleinfunden ist ein nur 12 Millimeter großes Glasgewicht mit einer arabischen Inschrift besonders hervorzuheben. Die Inschrift fordert »Ehre Allah« und weist darauf hin, dass muslimische Händler hier im 9. oder 10. Jahrhundert mit besonders wertvollen Gütern handelten. Von Bedeutung ist ferner die Entdeckung von Einrichtungen zur Verarbeitung von Zuckerrohr, dessen Anbau im Mittelalter zunächst einen Wirtschaftsboom im Heiligen Land auslöste, dann aber zur Verödung weiter Landstriche führte. Erstmalig gelang es den Mainzer Archäologen, einen der charakteristischen Siedeöfen zur Molassegewinnung schichtweise auszugraben und so Einblicke in die Verarbeitungsverfahren von Zuckerrohr zu gewinnen.
Bei Tiefsondagen unter den Fundamenten des Kalifenpalastes entdeckten die Projektmitarbeiter Hinweise auf dramatische Veränderungen der Kulturlandschaft vor dem Bau des Palastes: Mindestens zwei Mal schoben in nachrömischer Zeit Unwetterkatastrophen mächtige Gerölllawinen über den späteren Bauplatz und verschütteten dabei die Grundmauern einer älteren vorislamischen Siedlung.
Mit der Wiederaufnahme der Grabungen setzt die Universität Mainz ein Forschungsprojekt fort, das deutsche Archäologen von 1932 bis 1939 unternommen haben, um die Bau- und Siedlungsgeschichte des Palastes zu klären, der unter Kalif Walid I (705–715 n. Chr.) oder Walid II (743/4 n. Chr.) errichtet wurde. 1939 hat jedoch der Beginn des Zweiten Weltkrieges die Ausgrabungen jäh unterbrochen, weshalb die wissenschaftliche Bearbeitung bis heute aussteht. Unterstützt wird das Vorhaben durch das Institute of Archaeology der Universität Tel Aviv und durch die israelische Nationalparkverwaltung.
Neben den Ausgrabungen leiten die Mainzer Archäologen ein Konservierungsprojekt, das bereits seit 2015 durch das Kulturerhalt-Programm des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland finanziert wird. Ziel ist es, die seit 1939 schutzlos im Freien liegende Palastruine vor dem fortschreitenden Verfall zu retten. Dazu wird im November 2016 ein deutsch-israelisches Restauratorenteam im Auftrag der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Sicherungsarbeiten an den besonders einsturzgefährdeten Mauern unternehmen. Zur Vorbereitung begann das Labor für Bauforschung der Hochschule RheinMain Wiesbaden mit der verformungsgerechten Neuaufnahme der bedrohten Mauerzüge, um die Baugeschichte zu klären und Art und Umfang der Restaurierungsmaßnahmen besser planen zu können.
»Durch das Zusammenwirken von Sondierungsgrabungen, Bauaufnahme und Konservierungsmaßnahmen setzen wir Maßstäbe für Erforschung, Erhalt und Erschließung dieser bedeutenden frühislamischen Fundstätte«, erläutert Projektleiter Hans-Peter Kuhnen die Bedeutung des Vorhabens. »Durch die neuen Grabungen und die begleitende Bauaufnahme erhalten wir erstmalig differenzierte Einblicke in das, was sich am Ufer des Sees Genezareth vor dem Bau des Palastes und nach dessen Zerstörung durch das Erdbeben 749 abspielte. Diese Ergebnisse sollen in die zukünftige Entwicklung der Anlage einfließen.«