Die "Wormser Bilderbäcker" waren im Spätmittelalter bekannt für ihre Skulpturen und Reliefe. "Backen" bedeutete in der damaligen Zeit so viel wie festigen in einem Ofen. "Neben Brot wurden damals deshalb auch Keramiken gebacken", berichtet Grimm, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Abteilung für Kunsthistorik der Universität Bonn. In einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt untersucht er diese kleinen Meisterwerke des Bilddrucks aus dem 15. Jahrhundert. "Die Bilderbäcker formten vorhandene Skulpturen sowie Reliefe ab und entwickelten sie weiter", sagt der Kunsthistoriker.
Besonders bekannt sind die Wormser Bilderbäcker, deren Reliefe und Skulpturen als Vorlagen weite Verbreitung fanden. So wurde etwa die Figur einer Hl. Katharina aus der Zeit um 1420 von Keramikern aus Budapest, Köln, Trier, Utrecht und Aachen abgeformt und in ihrem eigenen Stil reproduziert. Sie stellten hierfür sogenannte "Modeln" (Hohlformen) her, in die der Ton wie bei einer Backform gedrückt und anschließend gebrannt wurde. "Noch vor dem Buchdruck und dem Auftreten der ersten druckgrafischen Erzeugnisse in Europa wurden auf diese Weise seit dem 14. Jahrhundert Bildideen seriell verbreitet", sagt Grimm. "Im Rheinland und in den Niederlanden war vor allem in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Qualität der Bilddrucke aus Pfeifenton oft erstaunlich hoch."
Beim Pfeifenton handelt es sich um einen fein geschlämmten, fast weißen Ton. Später, ab dem Ende des 16. Jahrhunderts, wurde er zur Herstellung von Tabakpfeifen verwendet, woher sein Name rührt. Im 15. Jahrhundert wurden daraus auch Heiligen-Reliefe für Altäre produziert. Zahlreiche Scherben solcher tönerner Heiligenbilder fand ein Team um den Aachener Stadtarchäologen Andreas Schaub im Mai und Juni 2011 bei Ausgrabungen an der Prinzenhofstraße in der Nähe des Aachener Doms. "Dabei kamen aus einer in das zweite Viertel des 15. Jahrhunderts datierten Schicht Reliefe zutage, die qualitativ den Wormser Figuren vergleichbar sind", berichtet Dr. Grimm.
An einigen der Scherben ist der Kopf der Heiligen ausgeschlagen, die Strahlen des Heiligenscheins sind aber noch deutlich zu erkennen. "Am Rand sind Spuren eines Brennfehlers zu erkennen", berichtet Grimm. "Offenbar wurde die Keramik unbrauchbar gemacht, weil sie dem hohen Qualitätsanspruch nicht genügte." Der Kunsthistoriker analysierte an diesem und weiteren Reliefen aus Aachen die Schriftzüge. Beim Vermessen der Winkel an den einzelnen Buchstaben zeigte sich, dass die Lettern der jeweiligen Bilder identisch sind. "In jedem der Reliefe gleicht zum Beispiel ein 'a' exakt dem anderen", berichtet der Kunsthistoriker. "Das beweist, dass die Beschriftungen mittels beweglicher Lettern in die Model gepresst wurden." Manchmal sind die Ränder der Buchstaben etwas unscharf – dann hat der Bilderbäcker die Lettern beim Eindrücken in den feuchten Ton verwackelt.
Gutenberg soll um das Jahr 1450 mit dem Druck von Blättern und Büchern begonnen haben. Die Tonfragmente mit den Buchstaben wurden jedoch Jahre vorher hergestellt, wie die von Wolfram Giertz (Aachen) bestimmten Gebrauchskeramiken der Grube belegen. "Damit verdichten sich die Indizien, dass Gutenberg nicht – wie allgemein angenommen – den Gebrauch der beweglichen Lettern erfand", sagt der Kunsthistoriker der Universität Bonn. "Eher könnte Gutenberg die neue Technik von den Bilderbäckern übernommen und auf den Buchdruck übertragen haben." Mit den beweglichen Lettern wurde eine kulturelle Revolution eingeleitet. "Erst sie erlaubten die massenhafte Verbreitung von Schriften", sagt Dr. Grimm. "Die damit verbundene Diskussion über neue Ideen schuf erst die Voraussetzung für die Neuzeit und damit die Geburt der modernen Wissenschaft."