Göttinger Wissenschaftler erforschen Umland der historischen Stadt Kamarina
Im Süden Siziliens gründeten Griechen aus Syrakus 599 vor Christus die Stadt Kamarina. Bei der Neugründung der Stadt um 461 vor Christus wurde das fruchtbare Umland in ein regelmäßiges Raster eingeteilt und ihren Bewohnern zur Nutzung zugeteilt. Wissenschaftler der Klassischen Archäologie, der Ur- und Frühgeschichte und der Geografie der Universität Göttingen erforschen gemeinsam dieses Territorium – an der Erdoberfläche und mit geoelektrischen Methoden auch darunter. Erste Ergebnisse zeigen, dass die Landverteilung räumlich und zeitlich begrenzt war. Außerdem fanden die Wissenschaftler Heiligtümer und Opferstätten sowie korinthische Keramik aus der ersten Phase der Stadtgründung.
Im 5. Jahrhundert vor Christus wurde das Land um Kamarina in rechtwinklige, vier Hektar große Parzellen aufgeteilt. Allerdings hatte dies nur wenige Generationen lang Bestand, denn schon im 3. Jahrhundert vor Christus entstanden hier in der römischen Zeit kleine ländliche Produktionszentren. Auch die geografischen Gegebenheiten, insbesondere Flusstäler mit ihren Steilhängen, begrenzten die Ausweitung der rasterhaften Landaufteilung. Zudem war damit nicht zwingend eine Gleichbehandlung der Bauern verbunden, wie der Göttinger Archäologe und Projektleiter Prof. Dr. Johannes Bergemann erläutert: "Nicht selten dürften mehrere Parzellen zu einem Besitz zusammengefasst worden sein. Anders als politische Egalität war Gleichheit des Besitzes kein Thema des antiken griechischen Diskurses."
Im Umland von Kamarina stießen die Wissenschaftler neben den Bauernhöfen auch auf antike Begräbnisstätten und vor allem Heiligtümer. "Wir haben große Mengen von schwarzgefirnisster Feinkeramik gefunden, gleichzeitig aber nur relativ wenige Dachziegeln", so Prof. Bergemann. "Dies deutet darauf hin, dass es Opferfeiern mit Trinkgelagen gegeben haben muss, für die viel Geschirr notwendig war. Gleichzeitig existierte dafür aber nur ein kleiner Sakralbau. An einer Stelle haben wir vielleicht das Fragment einer Kultstatue entdeckt."
An der Erdoberfläche wurden historische Artefakte gesammelt, sichtbare Mauern und Gräber vermessen und die Veränderung der historischen Landschaft anhand von Satellitenaufnahmen und digitalen Geländemodellen untersucht. Außerdem wurden mit Messungen der elektrischen Spannung an der Erdoberfläche verdeckte antike Strukturen unter der Oberfläche gesucht und kartiert – ohne die darüber liegenden jüngeren Funde zu zerstören. Überraschend stießen die Forscher dabei auf zahlreiche korinthische Keramik des 6. Jahrhunderts vor Christus, also aus der ersten Phase nach der Gründung Kamarinas. Auch fanden die Wissenschaftler Reste aus der vorgriechischen prähistorischen Zeit und konnten spätere römische Siedlungsplätze identifizieren. "Mit der Kombination unserer Methoden können wir die Geschichte des Umlandes von Kamarina über mehrere Jahrtausende nachzeichnen", erläutert Prof. Bergemann. "Die griechische Präsenz scheint sich auf das kleinteilig gegliederte Umland der Stadt konzentriert zu haben, während in der römischen Zeit die großen Flächen des Hinterlandes systematisch für die Landwirtschaft erschlossen wurden."
Seit dem Jahr 2012 erforschen die Wissenschaftler vom Archäologischen Institut um Prof. Bergemann, des Instituts für Ur- und Frühgeschichte um Dr. Jens Schneeweiss und des Geographischen Instituts um Dr. Stefan Erasmi die Region in Südsizilien. In dem Forschungsprojekt kooperieren sie mit der Region Sizilien, dem Museum von Kamarina und der Behörde für Bodendenkmalpflege der Provinz Ragusa. Bei der Datenhaltung werden sie von Kollegen von der Universität Tübingen und der Hochschule Bochum unterstützt. Die Forschung wird im Jahr 2015 fortgeführt und ausgeweitet.