Die insgesamt 178 Silbermünzen geben vor allem Einblicke in die wechselvolle Geschichte einer Grenzregion, aus der nur spärliche Schriftquellen vorliegen. Die Münzen wurden bei Grabungsarbeiten im nordöstlichen Niedersachsen gefunden. In der Gartower Elbtalaue am Höhbeck untersuchen Forscher des Göttinger Seminars für Ur- und Frühgeschichte die Reste einer Handelssiedlung, die ursprünglich unter slawischer Herrschaft gestanden hat. Ihre Arbeiten sind Teil eines in drei Bundesländern angesiedelten Forschungsprojekts zum Thema "Slawen an der unteren Mittelelbe".
Im 7. Jahrhundert begann die Landnahme der Slawen an der Elbe. Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Verbundprojekt soll Aufschluss geben über ländliche Besiedlung, Burgenbau, Besiedlungsstrukturen und Landschaftswandel und umfasst einen Untersuchungszeitraum bis zum hochmittelalterlichen Landausbau im 12. Jahrhundert. Im niedersächsischen Teilprojekt mit Wissenschaftlern der Georgia Augusta geht es insbesondere um das Verhältnis der Slawen und ihrer deutschen Nachbarn. "Die Mittelelbe war eine Grenzregion, in der es zu zahlreichen Kontakten und kriegerischen Auseinandersetzungen kam", so Prof. Dr. Karl-Heinz Willroth, Direktor des Seminars für Ur- und Frühgeschichte. Neben dem sogenannten Höhbeck-Kastell Karls des Großen zeugen davon zahlreiche weitere Burganlagen auf engstem Raum. Dazu gehört auch eine Niederungsburg, die einen Flussübergang bewachte. In unmittelbarer Nachbarschaft lag am Fuße des Berges Höhbeck hangaufwärts eine wichtige slawische Handelssiedlung. Nach dem Untergang der Burg bestand sie als deutsches Dorf weiter. Am Rande dieser Siedlung wurde im 12. Jahrhundert der Münzschatz vergraben.
Das einstige Siedlungsgelände ist heute ein großer Acker. Nach Angaben des Göttinger Ur- und Frühgeschichtlers Dr. Jens Schneeweiß wurden hier schon in früheren Zeiten immer wieder Scherben gefunden, darunter auch Teile slawischer Keramik. Nachdem es in diesem Areal bereits vor drei Jahren im Rahmen des DFG-Projekts eine systematische Oberflächenbegehung gegeben hatte, wurden im März 2008 erneut ausgewählte Fundplätze untersucht. Dennoch waren die Experten überrascht, als sie mit Hilfe von Metalldetektoren auf den aufgepflügten Münzhort stießen. Zunächst wurden 73 Münzen aus der Ackerkrume geborgen, weitere 105 Fundstücke kamen in einer Nachuntersuchung im April hinzu. Die Grube, in der der Münzschatz verborgen gewesen sein muss, konnte allerdings nicht mehr aufgefunden werden: Sie wurde offenbar durch den Pflug zerstört. Die Untersuchungen wurden von einer zertifizierten Detektorengruppe aus Schleswig-Holstein unter der Leitung von Dr. Schneeweiß durchgeführt.
Die welfischen Silbermünzen - mit einem Durchmesser von 17 bis 18 Millimeter - tragen auf der Vorderseite ein Kreuz und die Inschrift HEINRIC DVX (Herzog Heinrich). Sie sind Zeugnisse einer politisch höchst unruhigen Epoche. "Die Slawen waren unbeugsam. Etliche Versuche von westlicher Seite, sie zu missionieren und in Abhängigkeit zu bringen, waren im 10. und 11. Jahrhundert gescheitert. Erst unter Heinrich dem Löwen gelang es, vor allem durch geschickte Siedlungspolitik die slawischen Siedlungsgebiete dauerhaft unter deutsche Herrschaft zu bringen. Genau in diesen Zeitraum fällt der Münzschatz", erläutert Dr. Schneeweiß. Die Münzen sind für die Experten ein Beleg dafür, dass in der Fundregion ein gewisser Reichtum enstanden war, der vor Gefahren gesichert werden sollte. Aus den Fundstücken können sie detaillierte Informationen über Münzprägung, Umlaufdauer und Distribution ablesen. Derzeit schätzen Spezialisten den Wert des Münzfundes, der in die Denkmalliste des Landes Niedersachsen aufgenommen wurde. Bis zum Abschluss der wissenschaftlichen Auswertung bleibt er an der Georgia Augusta. Wo er dann aufbewahrt oder ausgestellt wird, ist noch nicht entschieden.
Das DFG-geförderte Verbundprojekt umfasst insgesamt drei archäologische und ein vegetationsgeschichtliches Teilvorhaben. Von Göttinger Seite sind daran neben Prof. Willroth und Dr. Schneeweiß auch Prof. Dr. Hans-Jürgen Beug und Jörg Christiansen vom Albrecht-von-Haller-Institut für Pflanzenwissenschaften beteiligt. Sie arbeiten an einer Rekonstruktion des Landschaftsbildes, insbesondere des Elbverlaufs und der Wasserstände.