Professor Dr. Boris Rankov ist der erste von vier Gastdozenten, die im Lauf der kommenden beiden Jahre den Gastlehrstuhl Nautische Archäologie an der Philipps-Universität Marburg für jeweils ein Semester besetzen. Vor wenigen Tagen ist der Professor der University of London an der Lahn angekommen. Der Forschungsschwerpunkt Rankovs liegt in der Römischen Geschichte, der Archäologie des Römischen Reiches und der antiken Schifffahrt. Außerhalb seines Fachs ist er aber auch als Ruderer bekannt. Von 1978 bis 1983 führte er das Team Oxford sechsmal in Folge zum Sieg beim bekannten Oxford-Cambridge Boat Race.
In Marburg konzentriert sich Rankov in seinen Lehrveranstaltungen auf Schiffshäuser und die Infrastruktur antiker Häfen im Mittelmeerraum und sein Hauptforschungsgebiet, die Rekonstruktion antiker Kriegsschiffe. »Die beiden Forschungsthemen sind eng miteinander verbunden«, erklärt Rankov. Denn die Schiffshäuser liefern wichtige Hinweise zum Beispiel über die Größe der Kriegsschiffe. Inschriften und Vasenmalereien sind weitere Quellen, aus denen Hypothesen über die Kriegsschiffe abgeleitet werden. In den 1980er Jahren war Rankov maßgeblich an der Rekonstruktion der Olympias beteiligt, eines antiken griechischen Kriegsschiffes für 170 Ruderer.
Der Gastlehrstuhl Nautische Archäologie wird bis 2016 mit einem Zuschuss in Höhe von zunächst 135.000 Euro vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) unterstützt. Nach Boris Rankow kommt im Wintersemester 2014/15 Dr. Harun Özdas von der Dokuz-Eylül-Universität Izmir (Türkei) nach Marburg. Dr. Özdas ist der stellvertretende Direktor des Instituts für Meereswissenschaften und -technologie der Universität Izmir und Vizepräsident des Komitees zum Schutz des Unterwasser-Weltkulturerbes der Türkei. Er hat viele Untersuchungen zu Schiffswracks im Mittelmeer begleitet. Dr. Jeffrey Royal von der archäologischen Forschungsorganisation RPM Nautical Foundation im US-Staat Texas wird im Sommersemester 2015 die Nautische Archäologie in Marburg vertreten. Royal forscht vor allem zu antiken Kriegsschiffen und zur antiken illyrischen Küste (im heutigen Westen der Balkan-Halbinsel). Im Wintersemester 2015/16 kommt schließlich der sizilianische Spezialist für Unterwasser-Archäologie Prof. Dr. Sebastiano Tusa nach Marburg. Tusa ist der oberste Unterwasser-Denkmalschützer rund um die sizilianische Küste.
Marburg ist der einzige Standort in Deutschland, an dem die Fachrichtung Nautische Archäologie in der Klassischen Archäologie gelehrt wird. Winfried Held, Professor für Klassische Archäologie, betreut den Gastlehrstuhl. Das nächste größere Projekt wird eine Tauchkampagne im Roten Meer im Spätsommer 2014 sein. »Das Rote Meer ist archäologisch ein weißer Fleck auf der Landkarte. Wir wollen diesen weißen Fleck füllen und anhand von Fundstellen Informationen über den Handel und die Seefahrt im Roten Meer zwischen dem 2. Jahrtausend vor Christus und dem 6. Jahrhundert nach Christus finden«, erläutert Held. Zwar existieren einzelne Dokumente über den Handel in dieser Zeit, Held hofft aber, mithilfe von neuen Funden einen repräsentativeren Überblick über den Handel in der Antike zu gewinnen. Da das Holz der Schiffe in aller Regel nicht mehr vorhanden ist, konzentriert sich die Forschung auf die Ladung der Schiffe, vor allem auf Amphoren oder andere Behälter, die Rückschlüsse über die Herkunft und die Art der Ladung erlauben.
»Es gab in der Antike einen Fernhandel vom Mittelmeer bis zum Indischen Ozean«, erklärt Held. Während Glas und Wein vom Mittelmeer Richtung Osten transportiert wurden, gelangten Gewürze und Seide auch auf dem Wasserweg in den Westen. »Dazu hoffen wir mehr herauszufinden«, sagt der Marburger Archäologe.
Die Tauchkampagne wird von der Saudi Commission for Tourism and Antiquities (SCTA) finanziell unterstützt. Im Gegenzug erhalten saudi-arabische Archäologen eine Ausbildung in Unterwasser-Archäologie.