Das große Ortsgräberfeld von Kirchheim/Neckar – »Lüssen« – war, aufgrund von Altfunden des 19. Jahrhunderts aus einer Kiesgrube, neuerer Funde durch die Erschließung des Neubaugebiets seit den 1970er Jahren und durch die Ausgrabung eines Teilbereichs im Jahr 1994, bereits länger bekannt und als archäologisches Kulturdenkmal ausgewiesen. Durch die geplante Bebauung der beiden noch freien Grundstücke waren die archäologischen Untersuchungen notwendig geworden, um mögliche Befunde und Funde zu dokumentieren und zu sichern. Die beiden Grundstücke haben sich dabei als archäologische Glückstreffer erwiesen: Neben der lockeren Belegung durch normale Erdgräber, die wohl das Südwestende des Gräberfelds anzeigen, fand sich ein Kreisgraben, das heißt eine kreisförmige Abzeichnung am Boden, die auf einen früheren Grabhügel schließen lässt, mit einer sehr großen, rund viereinhalb mal vier Meter messenden Zentralbestattung.
»Bei der Freilegung zeigte sich, dass es sich um zwei direkt benachbarte Holzkammergräber handelte, die im unteren Teil aus dem Fels gearbeitet waren«, berichtete Dr. Dorothee Brenner, zuständige Gebietsreferentin des LAD. In der nördlichen Kammer sei eine Frau bestattet worden, in der südlichen ein Mann. »Leider waren beide Gräber beraubt, allerdings verblieb glücklicherweise der Bereich unterhalb der Knie der Toten unberührt«, so Brenner. Unterhalb des Fußbereichs des bestatteten Mannes fanden sich ein großer verzierter Beinkamm, ein Keramiktopf, Bänder aus Silberblech, ein gläserner Sturzbecher, Pferdezaumzeug und ein Bronzegefäß, auf dessen mit organischem Material angereicherter Füllung Tierknochen und unter einer Keramikschale ein großer Ei-ähnlicher Gegenstand zu Tage kamen. Des Weiteren fand sich als Obolus im Mund des Toten eine Goldmünze. Von Spatha und Sax waren nur noch die Abdrücke beziehungsweise Fragmente vorhanden.
Auch die noch vorhandenen Beigaben der Frauenbestattung – Perlenkette, Goldanhänger mit Almandineinlagen, Scheibenfibel, Webschwert, Schere, gläserner Sturzbecher und Gürtelgehänge mit Zierscheibe und Cypraea – lassen laut Dorothee Brenner auf die Hochwertigkeit der Bestattung schließen. »Die Beraubung fand wahrscheinlich nach Einbrechen der hölzernen Grabkammern statt, da sonst wohl der untere Bereich, der durchaus begehrenswerte Beigaben enthielt, ebenfalls ausgeraubt worden wäre«, sagte sie. Direkt neben dem Kreisgraben fand sich zudem das Grab eines geköpften Pferdes, das mit dem samt Zaumzeug bestatteten Mann in Verbindung gebracht werden könne. »Hier kann durchaus von der Bestattung eines Paares der frühmittelalterlichen Oberschicht von Kirchheim am Neckar ausgegangen werden, dass sich unter anderem durch den Abstand zu den restlichen Gräbern von der Allgemeinheit absetzen lässt«, sagte Brenner.
Bei den von der Firma ABB durchgeführten und vom Landesamt für Denkmalpflege (LAD) im Regierungspräsidium Stuttgart beaufsichtigten Ausgrabungen wurden auf den beiden Grundstücken noch 22 weitere Gräber gefunden. Das gesamte Gräberfeld hatte ursprünglich vermutlich aus mehreren hundert Gräbern bestanden.