Nach ihrer Ausbreitung in Mittel- und Westeuropa vor etwa 42.000 Jahren begannen Homo sapiens Gruppen Mammutstoßzähne für die Herstellung von Anhängern und Gegenständen wie geschnitzten Statuetten zu bearbeiten und gelegentlich mit geometrischen Motiven zu verzieren. Neben Linien, Kreuzen und Rauten tauchte auf einigen Fundstücken in Südwestfrankreich und Figuren aus der Schwäbischen Alb eine neue Verzierungsart auf – die Aneinanderreihung von Punkten.
Die meisten dieser dekorierten Gegenstände wurden bei Ausgrabungsarbeiten im frühen 20sten Jahrhundert entdeckt und häufig ist ihre genaue chronologische Zuordnung nicht gesichert. So blieben und bleiben gerade hinsichtlich der Entstehung von Körperschmuck und der Verbreitung mobiler Kunst in Europa noch einige Fragen offen. Das nun von dem Team aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern deutscher, italienischer und polnischer Institutionen vorgestellte Artefakt zählt mit 41.500 Jahren zum momentan ältesten ornamentierten Schmuck Eurasiens und dürfte in einer der frühesten "Ausbreitungswellen" des Homo sapiens entstanden sein.
Bei dem Fund aus der Stajnia-Höhle kamen modernste Methoden der Radiokarbondatierung zu Einsatz, die nicht nur den Umfang der Probeentnahmen minimieren, sondern auch hochpräzise Daten mit einem sehr geringen Fehlerbereich erzielen können. Um in der Debatte, wann die mobile Kunst in den steinzeitlichen Homo sapiens Gruppen aufkam, Lösungsansätze zu finden, müssen nach Ansicht von Sahra Talamo (Erstautorin der Studie) solch verzierte Fundstücke, insbesondere jene, die bei früheren Ausgrabungsarbeiten oder in komplexen stratigraphischen Sequenzen gefunden wurden, präziser datiert werden.
Der Schmuckgegenstand wurde 2010 bei archäologischen Ausgrabungsarbeiten unter der Leitung von Co-Autor Mikolaj Urbanowski zwischen Tierknochen und einigen Steinwerkzeugen aus dem Jungpaläolithikum entdeckt. Die archäologischen Fundstücke aus der Höhle lassen vermuten, dass die Höhle Neandertalern und Homo sapiens-Gruppen für mehrere kurze Zeitperioden als Aufenthaltsort diente. Der Anhänger ging möglicherweise zu Bruch, als die Gruppe in der Kraków-Czestochowa-Hochebene auf der Jagd war und wurde anschließend entsorgt. Das Schmuckstück erlaubt weitere Erkenntnisse über die Kreativität und handwerklichen Fähigkeiten dieser frühen modernen Menschen und die Verbreitung künstlerischer Innovation, aber auch über die Ausbreitungsbewegungen des modernen Menschen im osteuropäischen Raum.