Die Fundstelle in der Region bei Netphen (Kreis Siegen-Wittgenstein) mit Spuren von Menschen aus dem mittleren Neolithikum (Jungsteinzeit) vor 6.500 Jahren belegt, dass die Menschen die Region nur zeitweise aufsuchten, wie jetzt Untersuchungen an Steingeräten und Bodenuntersuchungen ergaben. Die Steinzeit-Menschen siedelten hier nicht, sondern weideten ihr Vieh, gingen vielleicht auf die Jagd und suchten wahrscheinlich nach dem Mineral Hämatit.
Dass es zu den neuen Erkenntnissen kam, hat die Außenstelle Olpe der LWL-Archäologie für Westfalen dem jahrzehntelangen ehrenamtlichen Engagement von Heimatforscher Helmut Baldsiefen aus Netphen zu verdanken. Er spürt seit langem der ältesten Geschichte des Siegerlandes nach: Immer wieder hat er das Gelände erkundet und dabei Oberflächenfunde aufgesammelt und kartiert. Seine Funde zeigen: Nicht nur die keltischen Hüttenleute haben das Siegerland zu einer außergewöhnlichen archäologischen Fundlandschaft gemacht, als sie hier vor etwa 2.400 Jahren eines der größten Montanreviere der Eisenzeit Europas betrieben. Auch die Steinzeit ist im Siegerland gut vertreten.
Auf zahlreichen Äckern in der Nähe von Gewässern oder Quellen hat Baldsiefen binnen 40 Jahren Oberflächenfundstellen entdeckt, an denen Steingeräte aus der mittleren Steinzeit zu finden sind. Vor seinen Begehungen war nur eine Handvoll derartiger Fundplätze aus dem Siegerland bekannt. Heute ist das Siegerland eine der reichsten westfälischen Fundlandschaften des Mesolithikums überhaupt.
Zu den bemerkenswerten Funden von Helmut Baldsiefen gehört auch das älteste archäologische Fundstück des Siegerlandes, eine besonders geformte Pfeilspitze aus der ausgehenden Altsteinzeit. Bislang fehlte noch eine aussagekräftige Fundstelle aus der Jungsteinzeit, dem Neolithikum. Auch das gelang dem Heimatforscher vor wenigen Jahren. Bei Dreis-Tiefenbach in der Gemeinde Netphen entdeckte er auf einer alten Terrassenfläche des Dreisbaches neben Funden aus dem Mesolithikum erstmals eine kleine Serie jungsteinzeitlicher Steingeräte.
Der erste Fund war eine Klinge aus Amphibolit. Dabei handelt es sich um ein Gestein, das aus Südeuropa importiert wurde und aus dem in weiten Teilen Europas während der älteren Phase des Neolithikums quergeschäftete Beilklingen gefertigt wurden. Dies war bereits ein guter Hinweis darauf, dass sich bei Dreis-Tiefenbach Menschen schon während der älteren Jungsteinzeit aufgehalten hatten. Diese These konnte durch weitere Steingeräte aus Feuerstein untermauert werden, die von der Oberfläche des Ackers aufgelesen wurden. Die Vorkommen dieser Rohstoffe liegen sowohl in Belgien als auch im Süden der Niederlande sowie im Ruhrgebiet. Die Menschen, die sich im Siegerland aufhielten, unterhielten demnach weiträumige Kontakte.
Eine Analyse der neolithischen Steingeräte, die Prof. Dr. Michael Baales von der LWL-Archäologie in Olpe zusammen mit Ingrid Koch und Dr. Kathrin Nowak von der Universität zu Köln durchgeführt hat, ergab nun, dass die Steingeräte zu einem mittleren Neolithikum passen. Zu dieser Zeit vor etwa 6.500 Jahren bestanden aber nur in den fruchtbaren Börden- und Flusslandschaften um die Mittelgebirge herum feste Ansiedlungen. Was suchten die Menschen also in den Mittelgebirgen, wo sie noch keinen Ackerbau betreiben konnten? Hier fanden sie keine geeigneten Böden und auch das unwirtliche Mittelgebirgsklima wird nicht einladend für Ackerbau gewesen sein. Alles deutet darauf hin, dass die Neolithiker nur kurzfristig, saisonal, in das Siegerland kamen. Aufgrund des markanten Anteils an Steinartefakten aus nordischem Feuerstein dürften die Menschen aus dem Norden hierher gelangt sein. Die Ergebnisse dieser Analysen werden im nächsten Band der Fachzeitschrift "Bonner Jahrbücher" erscheinen.
Im September war es der LWL-Archäologie mit ihrer Außenstelle Olpe möglich geworden, auf dem Fundplatz einige kleine Baggersondagen anzulegen um herauszufinden, ob es hier Hinweise auf eine dauerhafte Ansiedlung etwa in Form von Pfostenstandspuren oder Gruben gibt. Darauf wiesen kleine Keramikbruchstücke in der Fundsammlung von Helmut Baldsiefen hin.
Zwar fanden die Forscher weitere Keramikfragmente und wenige Steingeräte. Aber unter dem Pflughorizont in den ungestörten Bodenschichten gab es keinerlei Hinweise auf Pfosten oder Gruben. Folglich bestand an dieser Stelle keine feste Ansiedlung. Damit ist erstmals für das Siegerland archäologisch nachgewiesen, dass sich die ersten jungsteinzeitlichen Menschen hier nur zeitweise aufhielten. Von ihrer Präsenz zeugen nur noch die Steingeräte und Gefäßscherben. Höfe oder gar Dörfer entstanden in den Mittelgebirgen erst während des jüngeren Neolithikums gut tausend Jahre später.
Die Menschen des älteren Neolithikums suchten also das Siegerland vermutlich nur während des Sommers auf, wenn in den fruchtbaren Gegenden das Getreide reifte. Vielleicht führten sie in die damaligen dichten Urwälder des Siegerlandes, die reich an Linden und Eichen waren, ihr Vieh zur Waldweide, schlugen Holz oder jagten. Möglich ist aber auch, dass sie Hämatit - Eisenerz - suchten. Hämatit wurde in der Jungsteinzeit zu Farbpulver zerrieben, vielleicht auch für kultische Praktiken genutzt und war damit wichtig. Tatsächlich hat Helmut Baldsiefen an seiner Fundstelle mehrere Hämatitbrocken mit deutlichen Abriebspuren entdeckt, die nicht von einer Hämatitlagerstätte im Umfeld stammen, sondern mit der jungsteinzeitlichen Niederlassung in Verbindung stehen.