Diese Muster lassen sich am besten als Darstellungen von Netzen oder Fischfallen interpretieren und liefern erstmals einen archäologischen Hinweis auf frühe Fischfangtechniken in der Spätphase der jüngeren Altsteinzeit (ca. 20.000–14.500 v. Chr.). Die Gravuren erweitern das bekannte Repertoire der eiszeitlichen Kunst um praktische und symbolische Elemente und deuten darauf hin, dass die Fischerei auch eine soziale Komponente im Leben der Jäger- und Sammlergesellschaften dieser Zeit hatte.
Der eiszeitliche Fundplatz von Neuwied-Gönnersdorf gehört zu den bedeutendsten und reichsten späteiszeitlichen Fundstellen Europas und birgt künstlerische Schätze aus der Vorzeit: Hunderte, meist kleine, flache Schieferplatten zeigen Bilder von Beutetieren wie Wildpferden, Wollnashörnern, Rentieren und Mammuts – Tiere, die für das Überleben der späteiszeitlichen Menschen, die den Lagerplatz vor 15.800 Jahren bewohnten, von entscheidender Bedeutung waren. Zusätzlich zu diesen detaillierten Abbildungen haben mehrere Hundert Gravuren von stark stilisierten Frauenfiguren die Fundstelle weltberühmt gemacht. Nun liefert sie auch den frühesten bekannten Nachweis über steinzeitliche Fischfangtechniken.
Mithilfe moderner bildgebender Verfahren wurden mehrere Fischdarstellungen entdeckt, die von gitterartigen Mustern überzogen sind. Diese Muster werden als Fischnetze oder -fallen interpretiert. Zwar ist bekannt, dass Fische zur Nahrung altsteinzeitlicher Jäger und Sammler gehörten, doch fehlten bislang Nachweise darüber, wie die Fische gefangen wurden.
Damit stellen die Gönnersdorfer Gravierungen die frühesten bekannten Darstellungen von Netz- oder Fallenfischerei in der europäischen Urgeschichte dar und machen einmal mehr deutlich, dass Technologien, die nur selten in archäologischen Fundkontexten erhalten bleiben, deutlich ältere Ursprünge haben mögen, als allgemein angenommen.
Die Untersuchungen zur Bedeutung der Schieferplatten und ihrer Nutzung im Alltag der eiszeitlichen Jäger und Sammler sind eingebettet in ein interdisziplinäres Kooperationsprojekt zwischen den Fachbereichen Archäologie und Psychologie der Universität Durham sowie MONREPOS. Finanziert durch eine gemeinsame Initiative der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Arts and Humanities Research Council (AHRC) vereint das Forschungsteam Expertise aus Archäologie und visueller Psychologie. Mithilfe von neusten Bildgebungstechniken wie dem Reflectance Transformation Imaging (RTI) untersuchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Wechselspiel von visueller Wahrnehmung und der Gestaltung und Nutzung von Kunstobjekten im Kontext späteiszeitlicher Alltagsumgebungen.
So beginnen die Forschenden aktuell durch die Untersuchung der Beschaffenheit der Schnittmarken, einzelne Künstler und deren spezifische »Stile« zu identifizieren. Darüber hinaus scheinen die Formen und Oberflächenstrukturen der Schieferplatten nicht selten die Motivwahl und -platzierung beeinflusst zu haben – ein Phänomen, das als Pareidolie bekannt ist. Dabei interpretiert das Gehirn natürliche Formen, wie die der Platten, als bedeutungsvolle Objekte, ähnlich wie wir gelegentlich Gesichter in Wolken erkennen.
Die Fischgravuren zeigen, dass die Fischerei in symbolische und soziale Praktiken integriert war, und erweitern das bekannte Repertoire der Darstellungen in der eiszeitlichen Kunst, in der, neben der Darstellung der Tiere selbst, auch ihre Ausbeutungsstrategien künstlerisch umgesetzt wurden.
Publikation
Upper Palaeolithic fishing techniques: Insights from the engraved plaquettes of the Magdalenian site of Gönnersdorf, Germany
PLoS ONE 19(11). 06.11.2024
DOI: 10.1371/journal.pone.0311302
https://journals.plos.org/plosone/articl...