"Das antike Griechenland und damit auch unsere heutige europäische Identität wurde jedoch selbst entscheidend beeinflusst, und zwar von den Ländern des heutigen Vorderen Orients", erklärt Prof. Dr. Sabine Vogt, Inhaberin der Professur für Klassische Philologie an der Universität Bamberg. Sie ist in ihrem Schwerpunkt Gräzistik den Ursprüngen Europas auf der Spur. Ausgerechnet der Kulturraum, den heute in Zeiten von Flüchtlingskrisen, Einwanderungsdebatten oder stockender EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei viele als Bedrohung für Europa empfinden und bewusst ausgrenzen wollen, hat uns also zu dem gemacht haben, was wir heute sind: "Ob kulturelles Gut oder technologisches Wissen – der heutige Vordere Orient war durch Handelsbeziehungen seit der Bronzezeit ein bedeutender Impulsgeber", erläutert Sabine Vogt. Ihm verdankten die Griechen auch die Kenntnis der semitischen Alphabetschrift, die sie auf ihre eigene Sprache anwandten. Zudem bildete der islamische Orient im 9. und 10. Jahrhundert nach Christus ein großes Wissenszentrum und bewahrte wichtige griechische Schriften zu Medizin, Astronomie oder Mathematik vor dem Vergessen, als im mittelalterlichen christlichen Westen zu dieser Zeit kaum mehr Interesse an den Texten bestand. Eine Leistung, die den Grundstein legte für alle heutigen wissenschaftlichen Disziplinen.
Sabine Vogt plädiert daher in Zeiten von Flüchtlingsdebatte und populistischen Parolen dafür, nicht nur nationalstaatlich und in festen Grenzen zu denken: "Unser heutiges Europa befindet sich seit Anbeginn in einem permanenten Wandel, in dem Zuwanderung und wirtschaftlicher, religiöser, sprachlicher und interkultureller Austausch schon immer integrale Bestandteile gewesen sind. Grenzen sollten daher nicht der Abschottung dienen, sondern eine Auseinandersetzung mit dem Anderssein und einen respektvollen Austausch über kulturelle Unterschiede ermöglichen."
Ein Blick in die Vergangenheit durch die Erforschung antiker Schriften und kultureller Zeugnisse, wie ihn zum Beispiel die Altertumswissenschaften werfen, kann daher heute helfen, emotional geführte Diskussionen zu versachlichen, Hemmschwellen zu überwinden und den Mut zur Diversität wiederzufinden. Der vollständige Artikel ist frei zugänglich im Forschungsmagazins uni.vers der Universität Bamberg.