Erste kommunale Gemeinschaftsausgrabung Deutschlands belegt lange Siedlungstradition in Schenefeld
Der Einsatz von Freiwilligen ist in der archäologischen Forschung zwar nicht neu. Immer wieder unterstützen enthusiastische Menschen, die nicht hauptberuflich in der Wissenschaft arbeiten, Ausgrabungen oder geben Hinweise auf mögliche Fundstellen. Doch das Projekt »Schenefeld gräbt aus«, bei dem im Mai und Juni 2022 mehr als 100 Erwachsene, Jugendliche und Kinder aus der schleswig-holsteinischen Gemeinde weitgehend selbständig mit Hilfe von Spaten, Kellen und Pinseln in die Vergangenheit ihres Ortes vordrangen, ist in Deutschland bislang einmalig. Am heutigen Freitag fand im Amtsgebäude des Ortes die Abschlussveranstaltung statt, bei der das Organisationsteam vom Exzellenzcluster ROOTS der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und vom Zentrum für Baltische und Skandinavische Archäologie in Schleswig (ZBSA) die Auswertung der Funde präsentierte.
Bürgerinnen und Bürger ergraben mehr als 1.000 Jahre Siedlungsgeschichte
Der kommunalen Ausgrabung lag die Annahme zugrunde, dass es sich bei Schenefeld um eine der ältesten kontinuierlich bewohnten Siedlungen in Schleswig-Holstein handeln könnte. Entsprechend alte Bauteile der Schenefelder St.-Bonifatius-Kirche sowie einzelne, frühere archäologische Funde hatten darauf hingedeutet. Die Ausgrabungen im Frühjahr, so konnte die Projektkoordinatorin Ilka Rau vom Exzellenzcluster ROOTS/ZBSA heute verkünden, bestätigen jetzt eine umfassende Siedlungstätigkeit in Schenefeld bereits im späteren 1. Jahrtausend nach Christus. »Neben diesen älteren Keramikfunden aus dem Frühmittelalter fanden sich allerdings nur sehr wenige bis keine Keramikfunde aus der ersten Hälfte des zweiten Jahrtausends, also aus dem hohen Mittelalter. Die mehrheitlichen Keramikfunde sind dann neuzeitlich«, ergänzt Ilka Rau.
Inwieweit Schenefeld seit dem ersten Jahrtausend durchgehend besiedelt war und wo genau sich die Menschen im Mittelalter niederließen, lässt sich anhand der bisherigen Grabungen noch nicht eindeutig klären. Dazu wären weitere Untersuchungen notwendig.
»Wir konnten bestätigen, dass Menschen schon vor mehr als 1.000 Jahren in Schenefeld gelebt haben. Das ist für unsere Gemeinde ein tolles Ergebnis«, sagt Bürgermeister Johann Hansen, »gleichzeitig erleben wir hier, dass Wissenschaft ein langwieriger Prozess ist. Neue Ergebnisse werfen oft neue Fragen auf. Auch das ist eine wichtige Erfahrung. Und natürlich würden wir gern weiterforschen, um die Fundlücke im hohen Mittelalter zu schließen«.
Befragung belegt große Begeisterung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer
Diese Begeisterung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht nur für die Ergebnisse, sondern auch für den wissenschaftlichen Weg, kann auch Dr. Katrin Schöps vom Kieler Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und der Mathematik (IPN) bestätigen. Da »Schenefeld gräbt aus« eine Premiere in Deutschland war, untersucht das IPN anhand von Fragebögen die Auswirkungen des Projekts auf die Gemeinde und die Menschen im Ort.
»Die Auswertung läuft noch, aber eine vorläufige Analyse zeigt, dass sich die Teilnahme an der Ausgrabung positiv auf die Menschen und das Gemeinschaftsgefühl in der Gemeinde auswirkt. Siebzig Prozent der Befragten würden noch einmal mitmachen und fast 90 Prozent ihren Freunden zu einer Teilnahme an einem solchen Projekt raten«, berichtet Dr. Schöps. Das bestätigen ähnliche Untersuchungen in Großbritannien, den Niederlanden, Polen oder Tschechien, wo derartige partizipative, gemeinschaftsarchäologische Projekte schon seit vielen Jahren praktiziert werden.
Erfahrungen aus Großbritannien auf Deutschland übertragen
Eine der führenden Expertinnen für sogenannte Community-Ausgrabungen in Großbritannien ist die Archäologin Prof. Dr. Carenza Lewis von der University of Lincoln. Ein Treffen zwischen ihr und Prof. Dr. Claus von Carnap-Bornheim (Exzellenzcluster ROOTS und ehemaliger Direktor des ZBSA) 2019 gab den Anstoß für das deutsche Pilotprojekt. Nach Verzögerungen aufgrund der Corona-Pandemie starteten 2021 die konkreten Vorbereitungen. Dafür wurden die CAU, das Archäologische Landesamt Schleswig-Holstein und das IPN, ebenfalls Teil des ROOTS-Netzwerkes, ins Boot geholt.
Nach entsprechenden Einführungen der Fachleute öffneten die Schenefelderinnen und Schenefelder dann an zwei Wochenenden im Mai und Juni 2022 insgesamt 31 je ein Quadratmeter große Suchgrabungen in Gärten, auf Wiesen und öffentlichen Plätzen im gesamten Gemeindegebiet. Zahlreiche Archäologinnen und Archäologen der beteiligten Institute waren anwesend, um den begeisterten Freiwilligen beim Ausfüllen der Grabungsprotokolle oder bei der Erfassung der Funde zur Seite zu stehen. Mehr als 2.000 Einzelfunde wurden so präzise erfasst und konnten anschließend wissenschaftlich analysiert werden.
»Das war eine sehr erfolgreiche Premiere für eine kommunale Ausgrabung in Schleswig-Holstein. Dazu haben nicht zuletzt die Schenefelderinnen und Schenefelder beigetragen. Dafür ein riesiger Dank des gesamten Teams. Ich kann nur hoffen, dass die Erkenntnisse aus dieser Premiere, sowohl bezüglich der Schenefelder Siedlungsgeschichte als auch der Vorteile von Citizen-Science-Ausgrabungen, viele ähnliche Projekte in Deutschland ermöglichen werden«, fasst der mittlerweile in den Ruhestand gewechselte Prof. Dr. Claus von Carnap-Bornheim zusammen.