Betritt man den Steinzeitpark Dithmarschen, fühlt man sich in die Zeit unserer Urahnen zurückversetzt. Eindrucksvolle Nachbauten von Gehöften und Werkplätzen machen die Jungsteinzeit erlebbar. Dass hier auch die Wissenschaft ihren Platz findet, zeigt eine kleine Versuchsfläche, auf der in dichten Reihen einige der wichtigsten Kulturpflanzen der nordischen Jungsteinzeit wachsen: Emmer, Einkorn, Nacktgerste und die Ölfrucht Lein. Bereits im März haben dort Wissenschaftlerinnen des Instituts für Ur- und Frühgeschichte das Getreide gesät, das jetzt geerntet wird.
Die Studierenden von Archäobotanikerin Professorin Wiebke Kirleis ernten einen Teil des Getreides mit Nachbauten neolithischer Steinsicheln. Andere Pflanzen werden ausgerauft, also mit der Wurzel aus dem Boden gezogen, denn »den ersten Bauern, die sich um 4100 v. Chr. in Norddeutschland niederließen, ging es nicht nur um die Kornerträge, sondern um die gesamte Pflanze«, erläutert Kirleis. »Die Halme dienten als Tierfutter und zum Decken der Dächer und selbst die Spelzreste fanden als Magerung von Hüttenlehm Verwendung.«
Der experimentelle Anbau im AÖZA ist Teil eines Forschungsschwerpunktes, der Transformationen der Pflanzenökonomie in prähistorischen Gesellschaften untersucht und in den Sonderforschungsbereich 1266 »TransformationsDimensionen« eingebunden ist. Aus Samen und Früchten, aber auch Mikrofossilien wie Pollen und Phytolithen, die Jahrtausende im Boden überdauern, ziehen die Wissenschaftlerinnen Rückschlüsse auf die Ernährung und die Entwicklung der Landwirtschaft in der Ur- und Frühgeschichte.
Das Erntegut aus Albersdorf wird im Kieler Institut für Ur- und Frühgeschichte ausgewertet. Neben Halm- und Ährenlänge bestimmen die Forscherinnen das 1000-Korngewicht. Im Vorjahr wurde die Fläche bereits mit den gleichen Getreiden bestellt. »Jetzt können wir die Erträge bei feuchter Witterung und bei Dürre einander gegenüberstellen«, erläutert Kirleis. Außerdem wurde auf einem Teil des Feldes im vergangenen Herbst Rinderdung ausgebracht. Das ermöglicht weitere Vergleiche zwischen dem Anbau auf gedüngten und ungedüngten Flächen. Begleitend werden Analysen stabiler Isotope an Bodenproben und Pflanzenteilen durchgeführt, die die Stickstoffaufnahme der Pflanzen erschließen sollen. Diese Vergleichsdaten unterstützen entsprechende Untersuchungen an verkohltem Getreide von archäologischen Ausgrabungen. Sie entschlüsseln, ob auch die jungsteinzeitlichen Bauern ihre Anbauflächen schon gedüngt haben, um die Erträge zu verbessern. Geplant ist zudem die Untersuchung des Bodens auf den Eintrag von Phytolithen, mikroskopisch kleinen Steinchen aus Kieselsäure, die besonders in Getreidezellen gebildet werden und Jahrtausende im Boden überdauern können. »Dr. Rüdiger Kelm mit seinem Team vom AÖZA bietet uns großartige Unterstützung beim experimentellen Anbau alter Kulturpflanzen, zumal das Freilichtmuseum in europaweite Netzwerke zur Förderung der experimentellen Archäologie eingebunden ist«, so Kirleis.
Noch ist die Ernte nicht beendet. Neben den jungsteinzeitlichen Kulturpflanzen wachsen auf der Anbaufläche auch einige Reihen Rispenhirse, die erst gegen Ende der Bronzezeit aus dem Fernen Osten ihren Weg nach Norddeutschland fand. Ihr kurzer Vegetationszyklus von nur drei Monaten machte die Bauern etwas unabhängiger von der Witterung, denn wenn Spätfröste die erste Aussaat zerstörten, konnte in späteren Monaten nachgesät werden. Die Kieler Wissenschaftlerinnen lassen die Hirse noch stehen, denn auch hier wurde im Mai noch nachgesät und Teile der Hirse sind noch grün. Ende August fallen die letzten Halme, dann kann die Fläche für das nächste Jahr vorbereitet werden.