Häufig ist es schwierig, kostbare und empfindliche Schriftstücke aus dem Ausland zur wissenschaftlichen Untersuchung nach Hamburg zu transportieren: Ihr fragiler Zustand, aber auch Umstände wie religiöse Bedenken, ungeklärte Eigentumsrechte oder sogar Bürgerkriege in ihren Ursprungsländern können dem im Weg stehen.
"Wir erleben nicht selten, dass eine gründliche Untersuchung einzigartiger Objekte irgendwo auf der Welt ausbleibt, obwohl sie technisch möglich wäre und der Forschungsgemeinde weitere Schritte beim Verständnis der Entwicklung und Funktionen von Schriftartefakten in Manuskriptkulturen erlauben würde", erklärt Professor Dr. Markus Fischer, Sprecher des Forschungsfelds "Artefact Profiling" im Exzellenzcluster "Understanding Written Artefacts" an der Universität Hamburg. "Deswegen haben wir beschlossen: Wenn die Manuskripte nicht nach Hamburg ins Labor kommen können, müssen eben wir zu den Manuskripten kommen." Das Containerlabor füllt die Lücke zwischen dem mobilen Labor des Clusters, das kurzfristige Einsätze mit kleineren Geräten absolviert, und dessen stationären Laboren.
Fünf der sechs vom Exzellenzcluster bestellten Container wurden am 18. Mai 2022 geliefert. Die Hälfte von ihnen sind als Reinraum-Labore konzipiert, in denen Luftfilter und Schleusen jegliche chemische Verunreinigung der zu untersuchenden Objekte verhindern. Die übrigen werden für einfachere Untersuchungen sowie konservatorische Aufgaben ausgerüstet. "Die benötigten Geräte stellen wir für jeden Einsatz neu zusammen", erklärt Professor Fischer. "Sie müssen robust genug sein, um lange Transporte und extreme klimatische Bedingungen zu verkraften, aber trotzdem aussagekräftige und umfangreiche Daten liefern. In Versuchsreihen testen wir derzeit verschiedene Geräte, um die am besten geeigneten zu identifizieren."
Beim ersten Einsatz in Indien sollen im Containerlabor Palmblattmanuskripte aus dem 18. und 19. Jahrhundert untersucht werden. Palmblätter waren jahrhundertelang die wichtigsten Textträger in Süd- und Südostasien. Allein im indischen Pondicherry lagern Tausende von ihnen, die seit 2005 zum UNESCO-Weltdokumentenerbe gehören. "Doch bei vielen ist heute nicht mehr bekannt, woher sie stammen, wer sie hergestellt hat und wie sie in die Archive französischer Forschungsinstitute in Pondicherry gelangten. Solche Informationen gingen in den Wirren der Kolonialzeit häufig verloren. Wir wollen jetzt versuchen, diese und weitere Rätsel zu lösen", so Professor Fischer.
Zur Lösung der Rätsel soll beispielsweise ein DNA-Sequenzierungsgerät beitragen. Es erlaubt Rückschlüsse auf die Gattung der Palmen und auf Bakterien oder Pilze, die sich auf den Manuskripten angesiedelt haben. Ein Massenspektrometer bestimmt hingegen das exakte Gewicht von Molekülen, es dient unter anderem zur Analyse der Oberfläche der Manuskripte. Darüber hinaus ist geplant, mittels eines Rasterkraftmikroskops die Oberfläche der Manuskripte detailgenau abzubilden. Sowohl die chemische Zusammensetzung als auch die Oberflächenstrukturen können Auskunft über den Ursprungsort der Manuskripte geben. Um die Elektrizitäts- und Wasserversorgung der Labore zu gewährleisten, wird ein sechster Container mit Stromaggregaten und Wasservorräten ausgerüstet. Er wird als Versorgungscontainer fungieren, falls die Infrastruktur vor Ort nicht ausreicht.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Exzellenzclusters "Understanding Written Artefacts" werden die Experimente durchführen. Sie begleiten die Container nach Indien und werden vor Ort mit den französischen Kolleginnen und Kollegen und einheimischen Fachleuten zusammenarbeiten, um ihr Wissen an diese weiterzugeben. Nach knapp einem Jahr kehren die Container-Labs dann nach Deutschland zurück, mitsamt den Hamburger Expertinnen und Experten.