Bei den diesjährigen Ausgrabungen in Ephesos in der Türkei haben Archäologinnen und Archäologen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ein hervorragend erhaltenes frühbyzantinisches Geschäfts- und Lokalviertel entdeckt. Das Areal wurde im Jahr 614/615 n. Chr. offenbar plötzlich zerstört. Der gesamte Hausrat in den Räumen wurde von einer mächtigen Brandschicht versiegelt und dadurch für die Nachwelt erhalten, was heute einzigartige Momentaufnahmen der damaligen Lebenswelt ermöglicht. Damit ist der Fund – wenn auch zeithistorisch völlig anders einzuordnen – vergleichbar mit der archäologischen Stätte von Pompeji.
Grabung am Domitiansplatz im Stadtzentrum
Der neu entdeckte Stadtteil liegt am Domitiansplatz, einer prominenten Platzanlage direkt anschließend an das politische Zentrum der römischen Stadt, der Oberen Agora. Die hier 2022 durchgeführten Grabungen sind Teil eines großen Forschungsprojekts, das sich den Veränderungen der Stadt zwischen römischer Kaiserzeit und Spätantike widmet.
»Dass die ursprünglich große römische Platzanlage in der Spätantike durch Geschäfte und Werkstätten überbaut wurde, war zu erwarten. Völlig unerwartet war jedoch der Erhaltungszustand sowie der exakte Zerstörungszeitpunkt und die daraus ableitbaren Implikationen für die Stadtgeschichte«, sagt Sabine Ladstätter. Sie ist Direktorin des Österreichischen Archäologischen Instituts der ÖAW und leitet seit 2009 die Ausgrabungen in Ephesos.
Amphoren mit Makrelen, Geschäftskassen mit Goldmünzen
Bislang wurde auf einer Fläche von rund 170 Quadratmetern eine kleinteilige Verbauung bestehend aus mehreren Geschäftslokalen freigelegt. Der gesamte Gebäudekomplex war bis in das Jahr 614/615 in voller Blüte, davon zeugen die dort gefundenen Münzen. Einzelne Räume dieses Viertels sind bis zu 3,4 Meter hoch erhalten und waren durch eine massive Zerstörungsschicht komplett versiegelt.
Unter den Schichten kam ein unglaublich reichhaltiges Inventar zum Vorschein. Gefunden wurde etwa unzähliges Geschirr, das in die Tausende geht, darunter im Ganzen erhaltene Schüsseln mit Resten von Meeresfrüchten wie Herzmuschel oder Austern oder Amphoren gefüllt mit eingesalzenen Makrelen. Daneben fanden sich auch Kerne von Pfirsichen, Mandeln und Oliven aber auch verkohlte Erbsen und Hülsenfrüchte. Besonders spektakulär sind vier zusammengehörige Goldmünzen (Solidi) sowie mehrere Geschäftskassen mit über 700 Kupfermünzen.
Bei den ausgegrabenen Räumen handelt es sich um eine Garküche, einen Lagerraum, eine Taberne, ein Geschäft für Lampen und christliche Pilgerandenken sowie eine Werkstätte mit angeschlossenem Verkaufsraum. Einzigartig ist der Fund von rund 600 kleinen Pilgerfläschchen, die christlichen Wallfahrern hier verkauft wurden und um den Hals getragen werden konnten.
»Dieser Fund in der Grabungsstätte von Ephesos ist spektakulär und in seiner Bedeutung gar nicht hoch genug einzuschätzen. Hervorragend erhaltene Goldmünzen, Südfrüchte, Amphoren, ja ein ganzes Geschäftsviertel konnten die Archäologinnen und Archäologen der ÖAW freilegen. Die Auswertung der Fundstücke wird noch viele neue Erkenntnisse über die damalige Zeit und die Hintergründe der plötzlichen Zerstörung bringen. Die ganze Akademie freut sich mit Grabungsleiterin Sabine Ladstätter und ihrem Team«, sagt ÖAW-Präsident Heinz Faßmann.
Zerstörung des viertels und die Sasaniden
»Der archäologische Befund zeigt uns eine massive Brandzerstörung, die plötzlich, dramatisch und folgenschwer gewesen sein muss«, erklärt Sabine Ladstätter. »Den genauen Tag der Zerstörung wird man nicht mehr feststellen können, aber die Auswertung der vorgefundenen Früchte wird zumindest die Jahreszeit klären.« War es ein Erdbeben? Darauf gibt es keinerlei Hinweise. Weder sind Mauern verschoben, noch Böden aufgewölbt. Es wurden auch keine menschlichen Überreste geborgen.
Es fanden sich aber etliche Pfeil- sowie Lanzenspitzen, die einen Hinweis auf eine kriegerische Auseinandersetzung liefern. Dazu passt, dass um dieselbe Zeit in der rund 100 Kilometer von Ephesos entfernten türkischen Stadt Sardis Münzfunde ebenfalls Zerstörungen belegen. Diese wurden bereits früher mit Einfällen der persischen Sasaniden ins westliche Kleinasien in Verbindung gebracht, was aber bisher in der Forschung umstritten ist.
Rätsel der Stadtgeschichte könnte gelöst sein
Die neuen Funde am Domitiansplatz könnten nun ein Rätsel der Stadtgeschichte von Ephesos lösen. Dazu Ladstätter: »Zwar konnte man bislang archäologisch beobachten, dass die Stadt im 7. Jahrhundert sprunghaft kleiner wurde und der Lebensstandard deutlich gesunken war, jedoch waren die Gründe dafür nicht klar.« Auch der Münzumlauf brach stark ein und fiel auf ein deutlich niedrigeres Niveau als in den Jahrhunderten davor. »Man wird diese Zäsur in der Stadtgeschichte von Ephesos nun wohl mit den Sasanidenkriegen in Zusammenhang bringen müssen«, so die ÖAW-Archäologin.
Grabungsteam
Die Auswertung der Funde und Befunde erfolgt durch ein Team von Forschern der ÖAW um Sabine Ladstätter: Helmut Schwaiger (Archäologie), Alfred Galik (Archäozoologie), Andreas G. Heiss (Archäobotanik) und Nikolaus Schindel (Numismatik).