Das Handeln des Menschen hat die Erde so stark verändert, dass bereits diskutiert wurde, ein neues Erdzeitalter einzuführen: das Anthropozän. Der genaue Beginn dieses »Menschenzeitalters« ist noch nicht abschließend geklärt. Die Belastungen des natürlichen Erdsystems durch menschliche Einwirkungen nehmen jedenfalls in hohem Maße zu. Dadurch besteht die Gefahr, dass – etwa durch den Verlust des Amazonas-Regenwalds – bestimmte Kipppunkte erreicht werden, was schlimmstenfalls zu irreversiblen Veränderungen führt.
Man kann das Anthropozän auch durch die Entstehung eines neuen funktionellen Teils im großen Stoffwechselsystem der Erde beschreiben: der sogenannten Technosphäre. In ihrer physischen Beschaffenheit umfasst diese sämtliche menschengemachten Artefakte, Bauten, Landnutzungs- und Energiesysteme, die allein schon eine geschätzte Masse von 30 Billionen Tonnen auf die Waage bringen. Die historische Evolution der Technosphäre ist komplex und geschah über lange Zeiträume. Auch wenn mit der Industrialisierung und mit dem sich beschleunigenden technischen Fortschritt seit Mitte des 20. Jahrhunderts die Rate menschengemachter Einflüsse auf den Planeten drastisch zugenommen hat, so liegen die sozialen, ökonomischen, technologischen und umweltverändernden Wurzeln des Anthropozäns viel weiter in der Vergangenheit. Vom Beginn des Ackerbaus über die Ankunft der Europäer auf dem amerikanischen Doppelkontinent bis hin zum damit einsetzenden globalen Warenaustausch – bereits frühe Gesellschaften schufen die Voraussetzungen für den fundamentalen Umbruch, den das Erdsystem heute erfährt.
Der Blick auf die Tropen
Ein Beispiel von besonderer Bedeutung sind die Tropenwälder. Angesichts der ökologischen Bedeutung der Tropen und der prognostizierten Zunahme der Bevölkerung und des Städtewachstums wird es immer wichtiger zu verstehen, wie Technologien, sozioökonomische Systeme, Landnutzung und das Erdsystem in diesen Regionen über die Zeit hinweg interagiert haben. Neuere archäologische, historische und paläoökologische Forschungsergebnisse verdeutlichen, wie sich die frühere menschliche Landnutzung – von Brandrodung bis zur Urbanisierung – auf Pflanzen, Tiere, Böden und sogar das Klima ausgewirkt hat. In einem interdisziplinären Projekt am Max-Planck-Institut für Geoanthropologie haben Forschende verschiedener Abteilungen die Auswirkungen frühen menschlichen Handelns auf die natürliche Funktion der Tropenwälder erforscht und den Tropengürtel im Kontext der globalen Herausforderungen des Anthropozäns beleuchtet.
Schwellenwerte tropischer Landnutzung
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben bei der Landnutzung tropischer Regenwälder durch den Menschen in den letzten 10.000 Jahren drei wesentliche Schwellen identifiziert. Die ersten beiden markieren den Beginn der Lebensmittelproduktion sowie neue Besiedlungsformen. Viele Nahrungsmittel, die wir heute global als selbstverständlich erachten – wie Mais, Huhn oder Schokolade –, stammen ursprünglich aus den Tropen. Die Verbreitung von Reis und Wasserbüffeln in den Tropenwäldern ging oftmals mit einem Anstieg von Rodungen, Bodenerosion und Emissionen einher. Es ist auch anzunehmen, dass die beginnende Urbanisierung in den Tropen vor rund 1000 bis 2000 Jahren verstärkt Druck auf die Tropen als Lebensraum ausgeübt hat. Neue Informationen und Technologien wurden in den Umlauf gebracht und gebietsfremde Arten breiteten sich aus.
Der dritte Schwellenwert beschreibt die Ankunft der Europäer und den späteren US-Kolonialismus und Imperialismus. Waren Europa und Amerika zuvor voneinander isoliert, wurden sie nun mit dem Eintreffen der iberischen Kolonialmächte direkt verbunden und in ein weltumspannendes ökonomisches Verwertungssystem eingegliedert. In der Folge wurde großflächig mit wilden und domestizierten Tier- und Pflanzenarten gehandelt, was Landschaften auf der ganzen Welt dauerhaft veränderte. Die Ausbreitung von Krankheiten sowie der durch die Kolonialmächte praktizierte Sklavenhandel hatten drastische Auswirkungen auf die indigene Bevölkerung und deren Landnutzung.
Möglicherweise wurden schon damals Rückkopplungsmechanismen des Erdsystems dauerhaft verändert. Die Marginalisierung indigener Praktiken der Landnutzung und die Verbreitung des Kolonialsystems, basierend auf Landrodung aus Profitstreben sowie Zwangs- und Sklavenarbeit, setzten sich noch bis in das 20. Jahrhundert fort. Die Auswirkungen auf globale Ungleichheiten und mangelnde Nachhaltigkeit sind bis heute spürbar.
Von der Vergangenheit in die Zukunft
Das Max-Planck-Institut für Geoanthropologie nutzt den Blick in die Vergangenheit, um Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft besser zu verstehen. Mithilfe eines transdisziplinären Ansatzes und innovativer Methoden können wir die Entstehung sozioökonomischer Ungleichheiten Hunderte von Jahren zurückverfolgen und ihren Zusammenhang mit der sich formierenden Technosphäre untersuchen. Indem wir den Einfluss des Menschen auf die Tropen erforschen, gewinnen wir inbesondere einen tieferen Einblick in die langfristigen Folgen des westeuropäischen und nordamerikanischen Konsums. Dieser Ansatz hilft uns auch, indigene und andere, besonders betroffene Bevölkerungsgruppen im Kampf gegen den Klimawandel zu unterstützen. Neue Einsichten in die regionalen und globalen Zusammenhänge zwischen Technologien und sozioökonomischen Trends sowie Bodenqualität, Klima und biologischer Vielfalt ermöglichen nicht nur ein besseres Verständnis des gegenwärtigen und zukünftigen Erdsystems. Sie sind auch die Grundlage für Handlungsoptionen von Gesellschaft und Politik.