Es klingt ein wenig wie der Beginn eines Steinzeit-Witzes: Ein Denisovaner und ein Mensch gehen an einem Bienennest vorbei, das voller Honigwaben ist. Was passiert dann?
Laut einer Ende Dezember im Journal iScience veröffentlichten Studie unter der Leitung der biologischen Anthropologin Kara C. Hoover von der University of Alaska Fairbanks und der Biochemikerin Claire de March von der Université Paris-Saclay könnte der Denisova-Mensch aufgrund seiner größeren Sensibilität für süße Gerüche den Duft sofort wahrgenommen und so gegenüber anderen Menscharten einen Vorteil bei der Zusammenstellung der Zutaten für eine energiereiche Mahlzeit gehabt haben. In der Studie wurde untersucht, ob der Mensch einen gemeinsamen Geruchssinn mit seinen inzwischen ausgestorbenen Vettern, den Denisova-Menschen und Neandertalern hat, deren Vorfahren Afrika vor etwa 750.000 Jahren verließen. Der heutige Mensch verließ Afrika vor etwa 65.000 Jahren.
»Diese Forschung hat es uns ermöglicht, einige größere Schlussfolgerungen über den Geruchssinn unserer nächsten genetischen Verwandten zu ziehen und die Rolle zu verstehen, die der Geruch bei der Anpassung an neue Umgebungen und Nahrungsmittel während unserer Migration aus Afrika gespielt hat«, so Hoover, Professorin am Fachbereich Anthropologie der UAF.
Um den Geruchssinn unserer ausgestorbenen genetischen Verwandten nachzubilden und sie mit denen heutiger Menschen zu vergleichen, verwendete das Forscherteam öffentlich zugängliche Genomsequenzen mehrerer Neandertaler, eines Denisovaners und eines fossilen Homo sapiens sapiens. Die Daten für die Rezptoren moderner Menschen stammen aus dem 1000-Genome-Projekt.
Anschließend verglichen sie 30 Geruchsrezeptorgene aus jeder Gruppe. Das Team fand heraus, dass 11 der Rezeptoren neuartige Mutationen aufwiesen, die nur bei ausgestorbenen Linien vorkommen. In der bisher größten Studie dieser Art erstellte das Team Laborversionen dieser 11 Geruchsrezeptoren und setzte sie dann Hunderten von Gerüchen in unterschiedlichen Konzentrationen aus.
Wenn die Rezeptoren in den Versuchen einen Geruch wahrnahmen, leuchteten sie buchstäblich auf. Die Geschwindigkeit und Helligkeit des Aufleuchtens verriet den Wissenschaftlern, ob, wie schnell und in welchem Ausmaß jede »Nase« die Gerüche wahrnehmen konnte. Die aus alten Genen rekonstruierten Rezeptoren konnten zwar die gleichen Dinge erkennen wie die des modernen Menschen, aber sie unterschieden sich in ihrer Empfindlichkeit für viele der Gerüche.
»Damit sind wir dem Verständnis näher gekommen, wie Neandertaler und Denisova-Menschen ihre olfaktorische Umgebung wahrgenommen und mit ihr interagiert haben«, so de March.
Neandertaler, die zwischen 430.000 und 40.000 Jahren in Eurasien lebten, hatten laut den Studienergebnissen den schlechtesten Geruchssinn. Der Neandertaler aus der Chagyrskaya-Höhle konnte zum Beispiel das Sexualsteroid Androstadienon, das ähnlich wie Schweiß und Urin riecht, nicht erkennen. Das könnte nützlich gewesen sein, so Hoover, da sie während der Eiszeiten, als sich die Eisdecke von den Polen nach Süden ausdehnte und viele Gebiete unbewohnbar machte, auf engem Raum in Höhlen gefangen waren.
Die Denisova-Menschen haben weniger physische Spuren hinterlassen als die Neandertaler. Sie sind vor allem aus dem heutigen Sibirien bekannt, wo die Überreste in der Denisova-Höhle auf die Zeit zwischen 76.200 und 51.600 Jahren datiert wurden. Denisovaner waren den Studienergebnissen empfindlicher für Gerüche als Menschen und viel empfindlicher als Neandertaler. Am empfindlichsten reagierten sie auf süße und würzige Gerüche wie Honig, Vanille, Nelken und Kräuter. Diese Eigenschaft könnte ihnen geholfen haben, kalorienreiche Nahrung zu finden.
Der Geruchssinn heutiger Menschen liegt hinsichtlich der Empfindlichkeit irgendwo in der Mitte zwischen Denisova-Mensch und Neandertaler.
»Dies ist die aufregendste Forschungsarbeit, an der ich je beteiligt war«, sagte Mitautor Matthew Cobb von der Universität Manchester. »Sie zeigt, wie wir die Genetik nutzen können, um in die sensorische Welt unserer lange verschollenen Verwandten einzutauchen, was uns Aufschluss darüber gibt, wie sie ihre Umwelt wahrgenommen haben und vielleicht auch, wie sie überleben konnten.
Bei vielen biologischen Arten wurden die Geruchsrezeptoren mit ihren ökologischen und ernährungsbedingten Bedürfnissen in Verbindung gebracht. »Jede Spezies muss Geruchsrezeptoren entwickeln, um ihre Fitness bei der Nahrungssuche zu maximieren«, so Co-Autor Hiroaki Matsunami in einer Pressemitteilung der Duke University. »Beim Menschen ist es komplizierter, weil wir sehr viele Dinge essen. Wir sind nicht wirklich spezialisiert.«
Der Geruch ist ein wesentlicher Bestandteil der menschlichen Geschichte, so Hoover. »Ein so stark überlappendes Geruchsrepertoire lässt vermuten, dass unser generalistischer Ansatz beim Riechen es uns ermöglicht hat, neue Nahrungsmittel zu finden, wenn wir an neue Orte migriert sind - und zwar nicht nur wir, sondern auch unsere Cousins, die Afrika viel früher als wir verlassen haben!«
Publikation
Genetic and functional odorant receptor variation in the Homo lineage
iScience. 20.01.2023
DOI: 10.1016/j.isci.2022.105908
https://www.cell.com/iscience/fulltext/S...