Die älteste menschliche Hand

Der 2008 entdeckte Australopithecus sediba könnte der direkte Vorfahre der Gattung Homo sein. Zu diesem Schuss kommt ein Forscherteam der University of the Witwatersrand mit Beteiligung des Anthropologen Peter Schmid von der Universität Zürich. Die Forschenden beschreiben in fünf Publikationen in «Science», weshalb ihr Fund eher als Vorfahre in Frage kommt als frühere Entdeckungen wie der Homo habilis.

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Der Handknochen von Australopithecus sediba mit dem kräftigen, langen Daumen. Dieser ermöglicht die Herstellung von Steinwerkzeugen. (Bild: Universität Zürich, Peter Schmid)
Der Handknochen von Australopithecus sediba mit dem kräftigen, langen Daumen. Dieser ermöglicht die Herstellung von Steinwerkzeugen. (Bild: Universität Zürich, Peter Schmid)

Die fossilen Knochen des Vormenschen, der nördlich von Johannesburg in Malapa ausgegraben wurden, sind 1,98 Millionen Jahre alt. Dies ergaben die neuesten Untersuchungen der beiden Skelette MH-1 und MH-2, die von einem etwa 10 - 13-jährigen Knaben und einer etwa 30-jährigen Frau stammen.

Wie sich herausstellte, vereint Australopithecus sediba verschiedene Merkmale, die bei einem frühen Vorfahren des Menschen so noch nicht gesehen wurden. So zeigen die Fossilien ein überraschend modernes, aber kleines Gehirn, eine sehr modern entwickelte Hand mit langen Daumen wie beim Menschen, ein sehr menschenähnliches Becken, aber eine Fuss- und Fersenform, die sowohl affen- als auch menschenartig ist. Prof. Lee Berger, University of the Witwatersrand, ist aufgrund der Funde der Ansicht, dass Australopithecus sediba der beste Kandidat als direkter Vorfahre der Gattung Homo ist.

Eines der Teilskelette besteht aus einem Gesichtsschädel, aus dem ein Hirnvolumen von 420 Kubikzentimeter berechnet werden konnte. Aufgrund der Wachstumszonen an den Langknochen und des Zahndurchbruchs muss es sich um den Schädel eines jugendlichen Individuums handeln, das 10 - 13 Jahre alt ist. Das Gehirn eines Erwachsenen würde demnach ein Volumen von ungefähr 440 Kubikzentimeter aufweisen. «Dieses sehr kleine Volumen irritiert, vor allem wenn man die ausgesprochen fortschrittlichen Gesichtszüge und die sehr menschlichen Besonderheiten des Bewegungsapparates betrachtet», sagt Peter Schmid von der Universität Zürich, Mitautor der Publikationen.

Der aussergewöhnliche gut erhalten Schädel erlaubte es zu klären, ob die Form der Windungen und Furchen denjenigen der früheren Australopithecinen entspricht oder bereits Züge eines moderneren Hirnes aufweist. Wie sich zeigte, sind die Region um den Frontalpol sowie der Bereich des Riechlappens bereits menschenähnlich. Dies lässt die Forscher vermuten, dass die neuronale Reorganisation des Vorderhirns vor der eigentlichen Grössenzunahme des Gehirns erfolgt sein muss.

Neue Aufschlüsse ermöglichte auch die älteste, nahezu komplette menschliche Hand, die je gefunden und beschrieben wurde. Dies ist so bedeutend, weil die Hand als Markenzeichen der Menschheit angesehen wird. Erst im Laufe der menschlichen Evolution wurde die Hand nicht mehr wie bei Affen zum Fortbewegen, sondern für Manipulationen gebraucht.

Australopithecus sediba hat nun im Vergleich zu früheren Formen kürzere Finger, einen sehr langen Daumen und robustere Mittelhandknochen. Erstaunlicherweise zeigt die Hand des Sediba mehr moderne Merkmale als die Handfragmente eines früheren Fundes, der als Ursprung des werkzeugherstellenden Menschen (Homo habilis, fähiger Mensch) und damit als erster Vertreter der Gattung Homo gilt. «Australopithecus sediba sollte deshalb umso mehr zur Werkzeugherstellung fähig gewesen sein», sagt Schmid. Da sich die Hand von derjenigen des Homo habilis unterscheidet, müssen wohl verschiedene Hominiden mit unterschiedlichen Handarten in der gleichen Zeitperiode Werkzeuge hergestellt haben.

Die gefundene Hand ist vollständiger als diejenige des Homo habilis und lässt daher eher Rückschlüsse zu. Sie ist moderner, obwohl Homo habilis 200'000 bis 300'000 Jahre jünger ist. Die Forscher sind deshalb der Ansicht, dass Australopithecus sediba ein früherer Werkzeughersteller ist als Homo habilis und deshalb auch besser als Morphotyp einer basalen Hand geeignet.

Im Gegensatz zu späteren Formen der Gattung Homo und einigen Australopithecinen bewahrte die Hand des Australopithecus sediba mehrere Anpassungen ans Baumleben. Sediba scheint mit seinen Händen zwar schon Werkzeuge benutzen und herstellen zu können; sie waren aber auch fürs Klettern geeignet.

Das Becken ist eine Mischung aus ursprünglichen, australopithecus-ähnlichen, und späteren, homo-ähnlichen Merkmalen. Die modernen Aspekte des Beckens sind für die Forschenden überraschend, da Sediba ein so kleines Hirn besitzt. Denn bisher ging man davon aus, dass erst die Vergrösserung des Gehirns die Anforderungen an das Becken verändert haben, um die Geburt von Babys mit grösserem Gehirn zu ermöglichen. Die Forscher vermuten, dass sich das Becken zumindest in einer Linie der frühen Hominiden angepasst hat, bevor die Hirnvolumen zunahmen. Am wahrscheinlichsten ist gemäss Peter Schmid, dass die Fortbewegung auf zwei Beinen das Becken veränderte. Das hiesse, dass die moderne Beckenform auf Anforderungen des Bewegungsapparates und nicht des Geburtsvorgangs zurückführen sind.

Verwirrend ist laut Schmid der Fuss, da dieser im Gegensatz zum Becken, zur Hand oder zum Schädel sehr affenartig ist. Er ist auch im Vergleich mit älteren Vorfahren weit weniger modern. Verschiedene Merkmale lassen auf einen aufrechten, zweibeinigen Gang schliessen, andere sind fürs Klettern geeignet.

Im August 2008 fand Matthew Berger, der Sohn des Paläoanthropologen Lee Berger, in Südafrika das Fragment eines menschenartigen Schlüsselbeins. Die Fossilien passten zu keiner bisher bekannten Hominidenart – sie bilden deshalb einen neuen Meilenstein in der Geschichte der Menschheit. Aufgrund des Alters und der Morphologie ordneten die Forscher die neue Hominidenart vorsichtigerweise der Gattung Australopithecus und nicht der Gattung Homo zu. Sie gaben ihr den Namen Australopithecus sediba, was in der seSotho-Sprache «Brunnen» oder «Quelle» bedeutet.

Literatur

Kristian J. Carlson, Dietrich Stout, Tea Jashashvili, Darryl J. de Ruiter, Paul Tafforeau, Keely Carlson, Lee R. Berger: The endocast of MH 1, Australopithecus sediba, in: Science

Tracy L. Kivell, Job M. Kibii, Steven E. Churchill, Peter Schmid, Lee R. Berger: Australopithecus sediba hand demonstrates mosaic evolution of locomotor and manipulative abilities, in: Science

Job M. Kibii, Steven E. Churchill, Peter Schmid, Kristian J. Carlson, Nichelle D. Reed, Darryl J. de Ruiter und Lee R. Berger: A new partial pelvis of Australopithecus sediba, in: Science

Bernhard Zipfel, Jeremy M. DeSilva, Robert S. Kidd, Kristian J. Carlson, Steven E. Churchill, Lee R. Berger: The foot and ankle of Australopithecus sediba, in: Science

Robyn Pickering, Paul H.G.M. Dirks, Zubair Jinnah, Andy I.R. Herries, Lee R. Berger: A 1.98 million year age for Australopithecus sediba from South Africa, in: Science

Rekonstruktion des Schädels. (Bild: Wits University)
Rekonstruktion des Schädels. (Bild: Wits University)
Der Vergleich des Beckens von Au. Sediba mit demjenigen der älteren «Lucy» (Au. afarensis) zeigt die unterschiedliche Grösse der Muskelursprünge am Kreuzbein (gelb) und an der Beckenschaufel (orange). (Bild: Universität Zürich, Peter Schmid)
Der Vergleich des Beckens von Au. Sediba mit demjenigen der älteren «Lucy» (Au. afarensis) zeigt die unterschiedliche Grösse der Muskelursprünge am Kreuzbein (gelb) und an der Beckenschaufel (orange). (Bild: Universität Zürich, Peter Schmid)