Die Jüdin Babatha lebte Anfang des zweiten Jahrhunderts nach Christus in der römischen Provinz Judäa in der Nähe der Stadt Petra im heutigen Jordanien. Sie war eine Frau aus der oberen Mittelschicht, war zweimal verwitwet, hatte einen Sohn namens Jesus aus erster Ehe. Sie starb vermutlich in einer Höhle oberhalb des Toten Meeres, wo sie – so nehmen Historiker an – um das Jahr 132 herum beim Bar-Kochba-Aufstand der Juden gegen Rom Zuflucht suchte. 1961 fand der israelische Archäologe Yigael Yadin dort ihren Lederbeutel. Sein Inhalt erwies sich als Glücksfall für Rechtshistoriker: Zu Tage kam eine Vielzahl von Papyri, die sich als die persönlichen Unterlagen der Babatha herausstellten.
"Die Urkunden dokumentieren die juristischen Angelegenheiten der Babatha: Mitgifturkunden, Ehe-, Kauf-, Pacht- und Verwahrungsverträge und gerichtliche Vorgänge hinsichtlich ihres Sohnes, darunter auch Petitionen an den römischen Statthalter in Judäa", erklärt die Saarbrücker Juraprofessorin und Veranstalterin der Tagung Tiziana Chiusi. Die gebürtige Römerin ist Expertin für römisches Recht und erforscht anhand des Babatha-Archivs die Wechselwirkung zwischen römischem Recht und dem Recht von Roms Provinzen.
"Das europäische Verständnis des Rechts ist römisch geprägt, unser heutiges Recht ist tief im römischen Recht verwurzelt. Aus den Erfahrungen der Antike können wir heute wichtige Lehren ziehen und Hintergründe verstehen. Das macht auch das Babatha-Archiv für uns heute so bedeutsam", erläutert Prof. Chiusi.
Das Römische Reich war ein Vielvölkerstaat, nach und nach hatte Rom sich den gesamten Mittelmeerraum einverleibt. Aber Rom gewährte den Provinzen weitgehende Autonomie, sofern nicht seine Interessen betroffen waren, auch beim Recht. "Die Römer exportierten ihr Recht nicht. Sie ließen den eroberten Gebieten ihr Recht und entwickelten ihr eigenes weiter", sagt Chiusi. Es ging ihnen nicht darum, alles zu vereinheitlichen, sondern darum, von den Provinzen zu profitieren. "Das römische Recht ist das Extrakt der Rechte des gesamten Imperiums. Durch die Verwaltung der Provinzen lernten die Römer die fremden Rechte kennen. Sie absorbierten diese und passten sie an, es entstand eine Wechselwirkung. Hierdurch wurde ihr Recht erstaunlich präzise und differenziert", erklärt die Rechtshistorikerin. Es galt, was besser passte, die beste Lösung setzte sich durch. "Die Papyri der Babatha sind vor diesem Hintergrund eine echte Fundgrube, um die Verhältnisse zwischen römischem Recht und provinzialen Rechten und allgemein die Entwicklung des Rechts in den Territorien des Imperium Romanum zu erforschen", sagt sie.
So war Babatha etwa nicht damit einverstanden, wie die vom Gericht der Stadt Petra bestellten Vormünder das Vermögen ihres Sohnes verwalteten. Sie selbst konnte nach damals geltendem Recht nicht Vormund sein. Aus den Papyri geht hervor, dass sie sich deshalb an den römischen Statthalter wandte. "Die Lösung, die Babatha dem Statthalter vorschlug – sie übernimmt die Verwaltung des Kindesvermögens unter gleichzeitigem Versprechen, die Vormünder schadlos zu halten – findet sich ein Jahrhundert später als Modell im römischen Recht. Babatha könnte zu einer Anpassung des römischen Rechts beigetragen haben", erläutert Chiusi. Solche und weitere Erkenntnisse aus den Papyri des Babatha-Archivs werden die Wissenschaftler im Rahmen der Tagung diskutieren.
Die Tagung "Wechselwirkungen zwischen römischem Recht und provinzialen Rechten anhand der Dokumente aus der judäischen Wüste" findet vom 28. bis 30.9. auf dem Campus Saarbrücken, Gebäude B 4.1, Hörsaal 0.21 statt. Interessierte Zuhörer sind herzlich willkommen.