Der »generelle Spezialist« – Was den Homo sapiens von anderen Homininen trennte
Die am Montag, 30. Juli 2018 in der Zeitschrift Nature Human Behaviour erschienene Studie von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte und der Universität Michigan vertritt die Auffassung, die Untersuchungen dazu, was es bedeutet »Mensch« zu sein, sollten ihren Fokus von der Suche nach den frühesten materiellen Spuren von »Kunst«, »Sprache« oder »technologischer Komplexität« hin zu der Frage verschieben, was unsere Spezies ökologisch einzigartig macht. Im Gegensatz zu anderen Homininen kolonisierte unsere Art nicht nur eine Vielzahl von herausfordernden Umgebungen, darunter Wüsten, tropische Regenwälder, Höhenlagen und die Paläoarktis, sondern spezialisierte sich auch auf die Anpassung an einige dieser Extreme.
Die Lebensräume der Hominine des frühen und mittleren Pleistozäns
Obwohl oftmals alle Hominine der Gattung Homo als »menschlich« bezeichnet werden, ist diese evolutionäre Gruppe, die vor etwa 3 Millionen Jahren in Afrika entstanden ist, sehr vielfältig. Einige Mitglieder der Gattung Homo (namentlich Homo erectus) waren vor einer Million Jahre nach Spanien, Georgien, China und Indonesien gelangt. Bislang deuten alle vorliegenden Informationen aus tierischen und pflanzlichen Überresten sowie chemischen Untersuchungen darauf hin, dass diese Gruppen einem Landschaftsmosaik aus Wald und Grasflächen folgten und es für ihre Lebenshaltung nutzten. Es wurde argumentiert, dass Homo erectus und der »Hobbit«, oder Homo floresiensis, feuchte, ressourcenarme tropische Regenwald-Lebensräume in Südostasien von vor 1 Million Jahren bis vor 100.000 bzw. 50.000 Jahren besiedelt haben. Die Autoren fanden dafür jedoch keine verlässlichen Belege.
Zudem wurde argumentiert, dass unsere engsten Verwandten, die Neandertaler (Homo Neanderthalensis) vor 250.000 bis 40.000 Jahren auf die Besiedlung Nord-Eurasiens spezialisiert waren. Grundlage dafür ist eine an kalte Temperaturen angepasste Gesichtsform und die Jagd auf Großtiere wie Wollmammuts. Eine Überprüfung der Belege führte jedoch zu dem Schluss, dass die Neandertaler in erster Linie vielfältige Wald- und Wiesenlandschaften besiedelten und von der gemäßigten Zone im Norden Eurasiens bis zum Mittelmeer eine Vielzahl von Tierarten jagten.
Wüsten, Regenwälder, Berge und die Arktis
Im Gegensatz zu diesen anderen Mitgliedern der Gattung Homo hatte sich der Homo sapiens vor 80-50.000 Jahren auch in höher gelegenen Gebieten angesiedelt. Vor mindestens 45.000 Jahren kolonisierter er rasch eine Reihe von paläoarktischen Gebieten und tropischen Regenwäldern in Asien, Melanesien und auf den amerikanischen Subkontinenten. Die Autoren gehen davon aus, dass die Fülle besser datierter, höher aufgelöster Umweltdatensätze, die mit der Durchquerung der Wüsten Nordafrikas, der arabischen Halbinsel und Nordwestindiens sowie den Gebirgen Tibets und den Anden durch den Homo sapiens in Verbindung stehen, zeigen werden in welchem Ausmaß unsere Spezies neue Fähigkeiten der Kolonisierung bei der Einwanderung in diese Regionen gezeigt hat.
Den Ursprung dieser ökologischen »Plastizität« zu finden, bleibt in Afrika derzeit schwierig, insbesondere für den Zeitraum der evolutionären Ursprünge des Homo sapiens vor 300-200.000 Jahren. Die Autoren weisen jedoch darauf hin, dass es vielversprechende Hinweise auf die Erschließung neuer Lebensräume und damit verbundenen technologischen Veränderungen für kurz nach diesem Zeitraum in ganz Afrika gibt. Sie gehen davon aus, dass zukünftige Arbeiten die Ursachen dieser Veränderungen noch mehr verdeutlichen werden, insbesondere solche Arbeiten, die archäologische Befunde mit hochaufgelösten lokalen paläo-ökologischen Daten verknüpfen. Erstautor Patrick Roberts erklärt: »Obwohl der Fokus auf der Suche neuer Fossilien und der genetischen Charakterisierung unserer Spezies und ihrer Vorfahren dazu geführt hat, die Entstehung und Verbreitung der Hominin-Arten grob zu skizzieren, sagen diese Ansätze nahezu nichts über die verschiedenen Umweltkontexte der biokulturellen Selektion aus«.
Der »generelle Spezialist«
Eine der wichtigsten neuen Aussagen der Autoren ist, dass die Belege für die menschliche Besiedlung einer großen Vielfalt von Lebensräumen auf den meisten Kontinenten der Erde im späten Pleistozän auf eine neue ökologische Nische hindeuten, die des »generellen Spezialisten«. Roberts erklärt: »Es gibt eine traditionelle ökologische Zweiteilung zwischen »Generalisten«, die eine Vielzahl von verschiedenen Ressourcen nutzen und vielfältige Lebensräume bewohnen können, und »Spezialisten«, die eine spezifischere Ernährung und geringere Toleranz gegenüber wechselnden Umweltbedingungen haben. Der Homo sapiens als eigentlich generalistische Art umfasst jedoch auch spezialisierte Populationen, wie z. B. die Bewohner von Bergregenwäldern oder paläoarktische Mammutjäger.
Diese ökologische Anpassungsfähigkeit kann durch die intensive Kooperation zwischen Nicht-Familienmitgliedern unter den pleistozänen Homo sapiens unterstützt worden sein, argumentiert Ko-Autor Dr. Brian Stewart. »Das Teilen von Nahrungsmitteln, Fernhandel und rituelle Beziehungen haben es den Populationen ermöglicht, sich »reflexiv« an lokale Klima- und Umweltschwankungen anzupassen und andere Hominin-Arten zu ersetzen. Im Wesentlichen kann die Ansammlung, Verwendung und Weitergabe eines großen Pools an kumulativem kulturellem Wissen in materieller oder ideeller Form entscheidend für die Schaffung und Erhaltung der generalistisch-spezialistischen Nische unserer Spezies im Pleistozän gewesen sein.
Schlussfolgerungen für unsere Suche nach dem Ursprung der Menschheit
Die Autoren sind sich darüber im Klaren, dass diese Aussage hypothetisch bleibt und durch Beweise für die Besiedlung »extremer« Umgebungen durch andere Mitglieder der Gattung Homo widerlegt werden könnte. Die Überprüfung der These vom »generellen Spezialisten« fördert jedoch die Forschung in extremeren Lebensräumen, die bisher in paläoanthropologische und archäologische Arbeiten vernachlässigt wurden, einschließlich der Wüste Gobi und des Amazonas-Regenwaldes. Die Ausweitung dieser Forschung ist besonders wichtig in Afrika, der evolutionären Wiege des Homo sapiens, wo detailliertere archäologische und ökologische Aufzeichnungen aus der Zeit vor 300-200.000 Jahren immer bedeutender werden, wenn wir die ökologischen Fähigkeiten der ersten Menschen nachvollziehen wollen.
Nach Meinung der Autoren unterstreicht die wachsende Evidenz für die Kreuzung von Homininen sowie eine komplexe, anatomische Herkunft und Verhalten unserer Spezies in Afrika, dass Archäologie und Paläoanthropologie sich auch auf die Umwelt assoziierter Fossilien konzentrieren sollten. »Während wir uns oft für die Entdeckung neuer Fossilien oder Genome begeistern, müssten wir vielleicht genauer darüber nachdenken, welche Rückschlüsse diese Entdeckungen auf das Verhalten der Art zulassen und was uns diese Funde über das Überschreiten ökologischer Grenzen erzählen«, sagt Stewart. Arbeiten, die sich darauf konzentrieren, die Genetik verschiedener Hominine zu ökologischen und physikalischen Vorteilen, wie UV-Toleranz oder Höhenanpassung, zu untersuchen, sind in dieser Hinsicht sehr vielversprechend.
»Wie auch bei anderen Definitionen des menschlichen Ursprungs erschweren Probleme der Konservierung die genaue Bestimmung des Ursprungs des Menschen als ökologischer Vorreiter. Eine ökologische Perspektive auf den Ursprung und die Natur unserer Spezies erklärt jedoch potenziell den einzigartigen Weg des Homo sapiens, der schnell die verschiedenen Kontinente und Umgebungen der Erde beherrschte«, schließt Roberts. »Die Überprüfung dieser Hypothese wird neue Wege für die Forschung eröffnen und, wenn sie sich bestätigt, neues Licht auf die Frage werfen, ob der "generelle Spezialist" angesichts wachsender Umwelt- und Nachhaltigkeitsproblemen weiterhin ein adaptiver Erfolg sein wird.«
Publikation
Defining the ‘generalist-specialist’ niche for Pleistocene Homo sapiens
Nature Human Behaviour. 30.07.2018
DOI: 10.1038/s41562-018-0394-4
https://www.nature.com/articles/s41562-0...