Anlässlich des ersten internationalen Mumienkongresses der Europäischen Akademie Bozen im März diesen Jahres präsentierte Dr. Wilfried Rosendahl, Leiter des Mannheimer Mumienfoschungsprojekts der Reiss-Engelhorn-Museen, neueste Forschungsergebnisse zu einer peruanischen Mumie. Es handelt sich dabei um eine liegende Frau mit gekreuzten Beinen, 30 - 50 Jahre alt. Sie stammt aus der Chancay-Kultur (11. - 15. Jh. / Peru) und ist auf das Jahr 1415 datiert. Modernste CT-Untersuchungen ergaben, dass die Verstorbene an verschiedenen Krankheiten litt. Besonders auffällig waren Schäden an der Wirbelsäule. Deutlich erkennbar waren auch zwei Gegenstände in den geschlossenen Händen der Frau. Zunächst vermuteten die Forscher Objekte aus Kupfer, Gold oder Keramik. Über das Rapid-Prototyping konnten Nachbildungen der Gegenstände angefertigt werden, die zeigten, dass es sich um zwei Kinderzähne, einen Eck- und einen Backenzahn, handelt. Warum wurden die Kinderzähne in die Hände der Verstorbenen gelegt? Welche kulturellen Hintergründe hat diese Grabbeigabe? Rätselhaft ist auch die Frage, um wessen Zähne es sich handelt. Sind es Zähne eines oder mehrerer Kinder? Und sind es die ihrer eigenen Kinder? „Das sind Fragen, die wir wohl nie alle beantworten werden können, da lediglich eine invasive DNA-Analyse der Zähne weitere Erkenntnisse bringen könnte. Wir können heute nur noch vermuten, was die Zähne zu bedeuten haben. Vielleicht handelt es sich um eine Botschaft wie ‚Denk an die Kinder!'", so Wilfried Rosendahl.
„Überraschend sind auch die Parallelen zu unserer Zeit, denn schließlich sammeln heute viele Eltern die Milchzähne ihrer Kinder. So berührt uns schlagartig das Leben einer über fünfhundert Jahre alten Mumie. Diese Entdeckung schlägt somit eine unerwartete Brücke zwischen Zeiten und Kulturen." Weitere Erkenntnisse verspricht sich Rosendahl hingegen zu den Schäden an der Wirbelsäule der Frau. Am Übergang vom Brust- zum Lendenwirbel ist eine Wirbelauflösung zu erkennen, die wahrscheinlich durch eine Tuberkuloseerkrankung hervorgerufen wurde. In naher Zukunft soll anhand einer DNA-Analyse an einer Gewebeprobe in Zusammenarbeit mit Dr. Albert Zink (Institut for Mummies and the Iceman, EURAC) die Frage beantwortet werden, ob es sich wirklich um eine Knochentuberkulose gehandelt hat. Die Mumie gehört zu den Sammlungsbeständen der Reiss- Engelhorn-Museen. Sie ist Teil der wissenschaftlichen Sammlung Gabriel von Max, die das Haus 1917 erwerben konnte. Nach ihrer Wiederentdeckung im April 2004 wurde die Mumie 2007/2008 in der Mannheimer Ausstellung „MUMIEN - Der Traum vom ewigen Leben" erstmalig ausgestellt. Eine wichtige Basis für die Ausstellung bildet das rem-Mumienforschungsprojekt.
Seit 2004 arbeiten Wissenschaftler der Reiss-Engelhorn-Museen mit renommierten Kooperationspartnern aus dem In- und Ausland interdisziplinär zusammen. Dank modernster Forschungsmethoden entlocken die Wissenschaftler den Mumien ihre Geheimnisse und lösen die Rätsel um Geschlecht, Alter, Größe, Herkunft und Lebensumstände der Verstorbenen. Mit Hilfe von Computer-Tomographie, Rapid- Prototyping und weiteren Analyseverfahren ist es möglich, Untersuchungen objektschonend durchzuführen. So können wertvolle Forschungsergebnisse gewonnen werden, ohne ethische ICOM- Richtlinien, die den richtigen Umgang und die Aufbewahrung der Mumien regeln, zu verletzen. Die Vernetzung mit weiteren wichtigen Mumienforschungszentren ermöglicht eine interdisziplinäre Vorgehensweise, die das rem-Mumienforschungsprojekt zu einem der derzeit größten und interessantesten Forschungsprojekte über das Thema weltweit macht.