Wenn ein 13-Jähriger den Anblick antiker Objekte im Museum als »packendes Erlebnis« erfährt; wenn er daraufhin anfängt, Fachbücher zur Antike zu lesen; wenn er in den Antikensammlungen in München gleich im ersten Saal so lange in der Betrachtung versunken bleibt, dass sich der Ordner bemüßigt fühlt ihn im schönsten Münchner Dialekt darauf hinzuweisen: »Sie, wir haben dahinten fei noch ganz viel mehr. Wenn Sie in dem Tempo weitermachen, schaffen Sie’s nie« – dann darf man sich nicht wundern, wenn der so von der Antike Begeisterte später den Lehrstuhl für Archäologie an der Universität Würzburg und damit auch die Leitung der Antikensammlung des Martin-von-Wagner-Museums übernimmt. Matthias Steinhart ist es jedenfalls so ergangen.
Fasziniert von der Lehre
Zum 1. Dezember 2011 wurde Steinhart ernannt; bis dahin war er Konservator und stellvertretender Sammlungsleiter der Staatlichen Antikensammlungen und Glyptothek in München. Von München nach Würzburg – ist das nicht ein Abstieg? Ganz und gar nicht, findet der Archäologe. »Ich bin in erster Linie auf den Lehrstuhl gegangen. Das Museum ist eine schöne Zugabe«, sagt er.
Die Lehre hat es Steinhart angetan. Nicht der einseitige Vortrag vor einem Auditorium, sondern die Auseinandersetzung mit den Studierenden. »Mich fasziniert es, die unterschiedlichen Sichtweisen, Herangehensweisen und Interessen der Studierenden kennen zu lernen«, sagt er. Ihm mache es Spaß, die Entwicklung mancher Nachwuchs-Archäologen zu verfolgen: Der Überflieger aus dem ersten Semester, der sich dann nicht mehr steigern kann. Der Spätentwickler, der erst nach einiger Zeit mit seinen Fähigkeiten überrascht. Oder auch ein Studierender, dem er in einem Gespräch unter vier Augen den Wechsel in ein anderes Fach nahezulegen versucht.
Was jetzt bitte nicht so verstanden werden darf, dass Steinhart die Antikensammlung nur als eine Art Dreingabe zum Lehrstuhl betrachtet. Ganz im Gegenteil: Es handele sich schließlich auch im europäischen Vergleich um eine »sehr bedeutende Sammlung«. Was die Qualität der Sammlung betrifft, müsse es den Vergleich mit anderen Antikenmuseen nicht scheuen. »Würzburg verfügt über eminent berühmte Einzelstücke«, sagt der neue Sammlungsleiter. Und auf den reichen Fundus an Theaterdarstellungen blicke die internationale Fachwelt mit Bewunderung.
Die Antike war immer aktuell
Matthias Steinhart ist nicht der Typ Archäologe, der monatelang in einer abgelegenen Gegend in Kleinasien im Staub kniet und mit dem Pinsel Tonscherben aus dem Geröll kehrt. Er beschäftigt sich lieber unter einem kunst- und kulturwissenschaftlichen Ansatz mit der Antike. »Es geht um die Kultur. Und die kann man nur verstehen, wenn man sich ihr aus möglichst vielen verschiedenen Blickwinkeln nähert«, sagt er.
Eine »ungeheuer innovative Epoche« sei die Antike gewesen, sagt Steinhart. Zu nicht vielen Zeiten habe sich auf so vielen Gebieten so viel getan – in der Literatur, in der Geschichtsschreibung, in der Großplastik oder in den künstlerischen Techniken. Und auch wenn das alles mehr als 2000 Jahre her ist: »Alt ist die Antike deswegen noch lange nicht.« Schließlich habe es seitdem keine Gesellschaft gegeben, die sich nicht mit dieser Epoche auseinandergesetzt habe. Der Grund dafür sei ganz einfach: »Die Menschen der Antike haben ganz zentrale Fragen gestellt – vor allem nach diesem merkwürdigen Wesen ‚Mensch’.«
Bei aller Begeisterung für die Antike hat Steinhart den Blick für die Gegenwart nicht verloren. Ihm ist klar, dass man schlecht einen großen Saal mit griechischen Vasen vollstellen kann und dann bei den Besuchern die gleiche Begeisterung erwarten darf, die ihn vor rund drei Jahrzehnten gepackt hat. »Man darf den Besucher nicht totschlagen«, findet er und gesteht freimütig ein, dass griechische Keramik schwer zugänglich sein kann. Wer sich darauf einlasse, könne jedoch spannende Bildinhalte und großes künstlerisches Können entdecken.
Bezug zur Moderne
Dass die Antike auch heute noch von Bedeutung ist, will Steinhart möglichst bald mit neuen Ausstellungen im Martin-von-Wagner-Museum vor Augen stellen. Denn bei vielen zeitgenössischen Künstlern findet sich in ihren Arbeiten ein Bezug zu antiken Vorbildern. Einem von ihnen hat Steinhart einen eigenen Aufsatz gewidmet: Roy Lichtenstein. Der Pop-Art-Künstler, der mit seinen großformatigen Bildern im Comic-Stil berühmt wurde, hat häufig griechische Vasenbilder als Anregung verwendet, hat Steinhart aufgezeigt. Auch in den Werken von Künstlern aus der Region hat der Archäologe Anklänge an die Antike gefunden, die er in Kooperation mit der Neueren Abteilung des Museums vorstellen möchte.
Praxisnähe im Studium
Wenn Archäologen einen Arbeitsplatz suchen, werden sie häufig in Museen fündig. Deshalb will Steinhart auch diesen Aspekt in der Lehre berücksichtigen: »Die Praxisnähe wird mit im Vordergrund stehen«, sagt er. Wie ist eine Ausstellung aufgebaut? Wie sieht das Konzept dahinter aus? Was könnte man anders machen? Mit Fragen wie diesen werden sich Steinharts Studierende auseinandersetzen müssen. Ihr Wissen über die Antike sollen sie nicht nur in seitenlangen Seminararbeiten wiedergeben, sondern vielleicht auch nur in einem kurzen Absatz, wie er in einem Ausstellungsflyer abgedruckt werden könnte, oder gar nur in einem Satz auf einem Kärtchen direkt neben dem Objekt.
Matthias Steinhart hat sich viel vorgenommen. Dass er in Würzburg am richtigen Platz ist, dessen ist er sich sicher. Das Altertumswissenschaftliche Zentrum der Universität biete jedenfalls hervorragende Möglichkeiten. Ein solch breites Angebot an Altphilologen, Ägyptologen, Altorientalisten, Historikern, aber auch Kunstgeschichtlern und Vertretern anderer Fachbereiche, mit denen sich die Zusammenarbeit anbiete – wie Neuere Philologien oder die Museologie – sei nicht an jeder Uni zu finden.
Zur Person
Matthias Steinhart (45) wurde in Freiburg im Breisgau geboren. Von 1986 bis 1994 studierte er Klassische Archäologie, Griechisch und Alte Geschichte in Würzburg und Bonn. 1994 wurde er mit einer Arbeit über »Das Motiv des Auges in der griechischen Bildkunst« an der Universität Würzburg promoviert. Im Jahr 2001 habilitierte sich Steinhart an der Universität Freiburg; der Titel seiner Habilitationsschrift:»Die Kunst der Nachahmung. Darstellungen mimetischer Vorführungen in der griechischen Bildkunst archaischer und klassischer Zeit«. Daneben hat Steinhart weitere Monographien sowie zahlreiche Aufsätze, Lexikonartikel und Rezensionen verfasst.
Nach Stationen als wissenschaftlicher Angestellter und Assistent an der Universität Freiburg ging Steinhart im Jahr 2008 als Konservator an den Staatlichen Antikensammlungen und Glyptothek nach München. Seit dem 1. Dezember 2011 ist er Lehrstuhlinhaber für Klassische Archäologie und Direktor der Antikenabteilung des Martin-von-Wagner-Museums an der Julius-Maximilians Universität Würzburg.