Aufstieg und Niedergang ganzer Kulturen sieht Behringer vom Klima beeinflusst; die Hexenverfolgung sei ebenso durch das Klima mitverursacht wie der Beginn der industriellen Revolution.
"Es gibt, was das Klima angeht, keine Sicherheit. Die Natur ist nicht auf ein bestimmtes natürliches Klima festgelegt", so der Historiker Wolfgang Behringer. Der Mensch, der heute auf den Klimawandel im Guten wie im Schlechten Einfluss habe, sei in früherer Zeit noch massiver der Unberechenbarkeit der Natur ausgeliefert gewesen. "Das Klima beeinflusste seine Umwelt und sein Leben unmittelbar - mit weitreichenden Folgen", so Behringer. Diese Folgen hat der Wissenschaftler für eine Zeitspanne von rund 20.000 Jahren seit der letzten Eiszeit untersucht. Besonders im Hochmittelalter und in der Frühen Neuzeit (1450 bis 1800) fand Behringer Belege für seine These, dass Klimaänderung und Lauf der Geschichte untrennbar in Zusammenhang stehen.
Im Hochmittelalter etwa sei es deutlich wärmer gewesen als heute. Eine nicht unumstrittene These. Aber, so Behringer: "Die Erdbestattungen der Wikinger auf Grönland aus dieser Zeit liegen heute im Permafrost und können kaum ausgegraben werden." Auf die Warmzeit im Mittelalter folgte eine lange Kaltperiode: die Kleine Eiszeit. Beginnend mit dem 14. Jahrhundert, dauerte sie fast sechshundert Jahre. Sie verzeichnete dramatische Kälteeinbrüche, so von 1560 bis 1630 und in den Jahren von 1675 bis 1715. Die Sommer waren regnerisch und kalt, im Winter froren Flüsse und Kanäle zu Eisstraßen.
"Am Weinanbau lassen sich die Klimaschwankungen ablesen", erläutert Behringer. So wurde im Hochmittelalter bis nach Norwegen Wein angebaut. Seit dem 15. Jahrhundert wich der Weinbau mehr und mehr nach Süden zurück. "Die Herzöge orderten Weine aus Italien, der europäische Handel wurde angekurbelt und die Bevölkerung von Wein- zu Biertrinkern", so der Historiker. Heute wandert die Weinbaugrenze wieder nach Norden - wo sie schon einmal war.
Behringer sieht Zusammenhänge zwischen der Klimabelastung und den historischen Ereignissen und Krisen. So wurden in Skandinavien, Schottland und Nordengland im 14. und 15. Jahrhundert in großem Ausmaß ganze Dörfer aufgegeben - 4000 Ortschaften allein in England. "Nicht weil ihre Bewohner starben, dann wären andere gekommen, die die Höfe bewirtschaftet hätten, sondern weil die Landwirtschaft wegen des Klimas nicht rentabel war", so Behringer. In Norwegen sei gar die Hälfte der Dörfer betroffen gewesen: jeder Hof, der höher als 200 Meter über dem Meeresspiegel lag.
Im Dreißigjährigen Krieg, bei dem 1618 bis 1648 ganze Landstriche entvölkert wurden - Schätzungen zufolge verlor die Hälfte der deutschen Bevölkerung ihr Leben - sei die Hälfte der Opfer auf Mangelernährung und Seuchen zurückzuführen. "Es handelt sich um einen besonders kalten Abschnitt der Kleinen Eiszeit. Es gab Jahre praktisch ohne Sommer", so Behringer. "Die Sonne zeigte sich nicht, der Dauerregen ließ die Ernte verfaulen. Es folgten extrem kalte und lange Winter." Die Wetterbedingungen führten zu Missernten, diese zu Hungersnöten, in deren Folge sich Seuchen wie Pest, Typhus oder Ruhr leicht ausbreiten konnten.
Das Klima schuf eine angespannte Stimmung, in der die Lage schnell eskalieren konnte. "Der Nährboden für soziale Spannungen, religiöse wie weltliche Konflikte war bereitet, die auch in der Hexenverfolgung einen ihrer schlimmsten Auswüchse fanden", so Behringer: Sie flammte etwa 1562, zwei Jahre nach Beginn der extremen Klimaverschlechterung, in großem Ausmaß wieder auf. "Der Versuch, Klimasünder ausfindig zu machen, geht zurück bis in die frühen Hochkulturen", so Behringer. Wurden Ernten durch Unwetter vernichtet, entlud sich auf Hexen und Wucherer der Zorn. "Große Hexenverfolgungs-Wellen kamen einmal pro Generation vor, im Turnus von etwa 30 Jahren. Auf jeden Höhepunkt scheint die Einsicht zu folgen, dass die Hinrichtungen nichts bewirkten, was dann aber wieder in Vergessenheit geriet", so Behringer.
Die Frühe Neuzeit habe aus ihrer Klimabürde aber auch eine völlig neue Form der Anpassung hervorgebracht: "Sie fand den Weg aus der Krise," so Behringer. "Es begann der typisch europäische rationale Umgang mit Krisen. Man hortete Vorräte, verbesserte den Anbau etwa durch Einsatz von Düngern, schaffte Infrastruktur." Besonders gut sei dies in den Niederlanden und England gelungen, deren Aufstieg begann. Die industrielle Revolution nahm ihren Anfang. "Man koppelte sich mehr und mehr ab von der Natur. All dies bezweckte und bewirkte auch weniger Abhängigkeit vom Klima, dem man nicht mehr tatenlos ausgeliefert sein wollte."