Natürlich ist das Werk eine Fälschung, eine Mischung aus gelehrter Spielerei, religionsphilosophischem Diskurs und konfessionspolitischer Satire. Prof. Dr. Reinhold F. Glei (Klassische Philologie der Ruhr-Universität Bochum) hat jetzt die erste Übersetzung dieses vierten Bandes ins Deutsche veröffentlicht. Er geht in einer ausführlichen Einleitung unter anderem der Verfasserfrage nach und gibt umfassende Erläuterungen zu allen Sachfragen, die der Text aufwirft.
Merkwürdig römisch-katholisch
Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts entdeckte ein Franziskanerpater namens Seraphinus in einer alten Handschrift das vermisste vierte Buch Ciceros; seine Publikation geriet jedoch in Vergessenheit. Mit dem Fund war aber endlich das Rätsel der verlorenen Götterlehre Ciceros gelöst: Man konnte lesen, dass der skeptische Philosoph in Wahrheit die Lehre von einer universalen Urreligion vertrat, die einem sensus internus, einem inneren Gefühl der Religiosität entstammt. Damit greift Cicero merkwürdigerweise ein Thema auf, das in der religionsphilosophischen Diskussion an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert heftig umstritten war (Fichte und Kant vs. Schleiermacher u.a.). Noch merkwürdiger ist, dass die kultischen Details der Urreligion in vielerlei Hinsicht römisch-katholisch anmuten: So behauptet Cicero beispielsweise den Vorrang der Tradition vor der Offenbarung und sogar die Unfehlbarkeit des römischen Pontifex Maximus in rebus fidei et morum.
Raffinierter Pfarrer
Natürlich ist das Werk eine Fälschung. Der Verfasser ist ein protestantischer Pfarrer und Schulmann, ein gewisser D. Hermann Heimart Cludius (1754-1835), Superintendent in Hildesheim. Er fingierte dieses Werk mit einem erstaunlichen Gespür für die Dialogtechnik und den Stil Ciceros, setzte aber auch deutliche Ironiesignale, so dass man das vierte Buch leicht als Fiktion erkennen konnte. "Es ist ein bemerkenswertes Dokument sowohl philologischer Raffinesse als auch zeitgenössischer philosophischer und konfessioneller Diskussionen, das der Vergessenheit entrissen zu werden verdient", erklärt Prof. Glei.