In einer Studie berechnete das Team, ausgehend von fossilen Daumenknochen, mit virtuellen Modellierungen erstmals die Fingerfertigkeit und händische Geschicklichkeit verschiedener Menschenformen. Die Arbeit wurde in Kooperation mit dem Hertie Institut für Klinische Hirnforschung (HIH), dem Naturhistorischen Museum Basel und der Medical School of Athens durchgeführt. Die Ergebnisse wurden am Donnerstag in der Fachzeitschrift Current Biology veröffentlicht.
Die systematische Herstellung und Verwendung von Steinwerkzeugen gelten als ein entscheidendes Wesensmerkmal des Menschen und als ein Grundstein für seine biokulturelle Evolution. Beides hängt eng mit einer zunehmenden feinmotorischen Geschicklichkeit der Hände und der Fähigkeit zum sogenannten Pinzettengriff zusammen – entscheidende Entwicklungen für die Evolution des Menschen. Dennoch ist bislang unklar, wann und bei welcher Menschenform die Entwicklung feinmotorischer Fähigkeiten zum ersten Mal auftrat, und welche Rolle diese neuen Fertigkeiten bei der Weiterentwicklung der Kultur spielten.
Um diese Forschungslücke zu schließen, verfolgte das Team einen neuen integrativen Ansatz: Mit einer dreidimensionalen Scantechnologie verglichen die Forscherinnen und Forscher die Daumenknochen verschiedener Menschenformen, darunter frühe anatomisch moderne Menschen, Neandertaler, Australopithecinen und der Homo naledi. Mit einem neuen biomechanischen Modell berechneten sie dann die jeweiligen Kräfte der Daumenmuskeln, um daraus auf die Geschicklichkeit der Daumen zu schließen. Zusätzlich wurden die Daten mit dem Daumeneinsatz heutiger Menschenaffen abgeglichen.
"Unser Ansatz konzentriert sich darauf, wie effizient die sogenannte 'Daumenopposition' war. Die Stellung des Daumens gegenüber den anderen Fingern gilt als menschliches Merkmal und ist essentiell für Pinzettengriff und Werkzeuggebrauch", erklärt Dr. Alexandros Karakostis, Erstautor der Studie und Experte für Handbiomechanik. "Zum ersten Mal konnten wir einbeziehen, welchen Einfluss die Form des Daumenknochens und des Muskelgewebes haben, das bei Fossilfunden nicht mehr erhalten ist, sondern erst rekonstruiert werden musste. So ließ sich die Geschicklichkeit verschiedener fossiler Menschenformen vergleichen."
Ein bemerkenswert großes Geschick zeigten die Analyse-Ergebnisse für die etwa zwei Millionen Jahre alten Handknochenfossilien aus der Höhle Swartkrans in Südafrika. "Diese Epoche ist mit entscheidenden Entwicklungen verbunden", sagt Katerina Harvati. "Unter anderem trat hier Homo erectus mit einem größeren Gehirn auf. Der Werkzeuggebrauch fand auf einem höheren Niveau statt, insgesamt lässt sich eine größere kulturelle Komplexität beobachten."
Für ältere Formen des Menschenvorläufers Australopithecus, die bislang als die frühesten, vermutlich werkzeugherstellenden Vormenschen galten, stellte die Studie eine eher niedrige Daumeneffizienz fest, vergleichbar mit der heutiger Menschenaffen. Dies war auch bei der etwas jüngeren Form Australopithecus sediba der Fall, obwohl diese über menschenähnliche Daumenproportionen verfügt.
Im Gegensatz dazu zeigten jüngere Menschenformen wie der Neandertaler, der Homo naledi und der frühe Homo sapiens alle ein ähnlich hohes Niveau der Daumeneffizienz. "Die Daumen-Oppositions-Effizienz war in der Gattung Homo also durchgehend beträchtlich", fasst Katerina Harvati zusammen. "Dies unterstreicht, wie wichtig dieser evolutionäre Vorteil für die biokulturelle Weiterentwicklung des Menschen war."
Publikation
Biomechanics of the human thumb and the evolution of dexterity
Current Biology. 28.1.2021
DOI: 10.1016/j.cub.2020.12.041