Dr. Frank Daubner von der Abteilung Alte Geschichte des Historischen Instituts beschäftigt sich mit dem weitgereisten Alumnus im Rahmen seiner historisch-geographischen Forschungen zu Südsyrien sowie zur Vorbereitung eines Projekts zur Rolle von Ingenieuren in den Altertumswissenschaften.
Mit der Erstürmung einer Moschee begannen am 15. März diesen Jahres in Deraa die Proteste gegen das Assad-Regime. Wochenlang war die Stadt vom syrischen Militär belagert, 120.000 Menschen waren wochenlang von der Außenwelt abgeschnitten. Die Stadt hat schon in der Antike Geschichte geschrieben: Deraa war das biblische Edrei, die Residenz des Königs Og von Basan, der Ort, an dem die Israeliten unter Führung des Moses gegen die Riesen kämpften. In der klassischen Antike hieß die Stadt Adraa und war einer der größten Orte der Landschaft Hauran, einer blühenden Kornkammer des Römischen Reichs. Später verfiel der Ort und war zeitweise fast völlig verlassen.
Die Aquädukte, Brücken und Bäder der Antike, aber auch eine noch nicht erforschte Höhlensiedlung im Berg unterhalb von Deraa standen im Mittelpunkt des Interesses von Gottlieb Schumacher, der die Stadt und ihre Ruinen 1884 besucht und auf sieben Seiten seines Buches „Across the Jordan“ aus dem Jahr 1886 beschrieben hat. Doch galt sein Interesse nicht nur den antiken Hinterlassenschaften. Ende des 19. Jahrhunderts bestand Deraa aus Steinhäusern und Lehmhütten und hatte etwa 5.000 Einwohner. „Dennoch“, schreibt Schumacher,, „ist es ein miserabel aussehender Ort, sehr schlammig bei feuchtem Wetter, und so schmutzig und staubig im Sommer, dass man sich die Augen ruiniert, wenn man durch die Straßen geht.“ Engagiert äußert er sich zur Bedrückung der lokalen Bauern, zu den Konflikten mit Regierung und Verwaltung. Ebenso hebt er die Rolle der Frau hervor, die unter den Beduinenstämmen des Hauran eine bedeutend bessere Stellung habe als bei den übrigen Arabern.
Geboren wurde Gottlieb Schumacher 1857 in Amerika; die Familie seines Vaters stammte aus Tübingen und gehörte zu den pietistisch geprägten Templern. Als Zwölfjähriger ging er mit seinen Eltern nach Palästina. Als Gymnasiast wurde Schumacher, der Altgriechisch und Latein gelernt hatte und neben Deutsch auch Französisch, Englisch, Arabisch und Türkisch sprach, nach Stuttgart geschickt. Dort immatrikulierte er sich für das Studienjahr 1876/77 an der Technischen Hochschule, an der er 1879 die Vorprüfung und 1881 die erste Staatsprüfung als Bauingenieur ablegte. Zurück in Palästina, wurde er von der türkischen Regierung beauftragt, den Golan und Nordsyrien zu vermessen. Im Laufe dieser Arbeiten erkundete er eine mögliche Eisenbahnstrecke zwischen Haifa und Damaskus. Für den Deutschen Palästina-Verein kartierte er das weithin unbekannte südliche Syrien und schrieb Berichte über die bereisten Gegenden – so auch über Deraa. Vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse lesen sie sich als Zeugnis der bis heute andauernden Vernachlässigung dieses einst so reichen Landstrichs.
Schumacher wurde später zum Leiter der Templergemeinde in Haifa und zum amerikanischen Konsul berufen, er wirkte als Ingenieur und als Archäologe – unter anderem baute er die Fassade des Mschatta-Palastes ab, die heute das Glanzstück des Berliner Museums für Islamische Kunst in Berlin ist, und leitete die Ausgrabung von Tell Megiddo, dem biblischen Armageddon.