Das internationale Team untersuchte die in ihrer Art einzigartige Prothese mit moderner Mikroskopie, Röntgentechnik und Computertomografie. Es wies nach, dass der Holzzeh zu Lebzeiten an den Fuss der Besitzerin, der Tochter eines Priesters, angepasst und dafür mehrmals überarbeitet wurde. Neu bestimmten die Forschenden auch die verwendeten Materialien sowie die Technik von Herstellung und Anwendung der hoch entwickelten Prothese. Beteiligt waren dabei ausserdem Spezialisten des Ägyptischen Museums Kairo – wohin die Prothese nach ihrer Auffindung gebracht wurde – und des Instituts für Evolutionäre Medizin der Universität Zürich.
Der künstliche Zeh aus dem frühen ersten Jahrtausend v. Chr. zeugt vom Geschick eines Kunsthandwerkers, der mit der menschlichen Physiognomie bestens vertraut war. Besonders an der Beweglichkeit des Prothesenaufsatzes und an der robusten Struktur des Gurtbandes kann man das damalige technische Know-how gut erkennen. Dass die Prothese derart aufwendig und sorgfältig angefertigt wurde, lässt darauf schliessen, dass die Besitzerin Wert auf natürliches Aussehen, Ästhetik und Tragekomfort legte – und dass sie dabei auf hoch qualifizierte Fachkräfte zählen konnte.
Der früheisenzeitliche Prothesenbefund stammt aus einem geplünderten Schachtgrab, das in den Felsboden einer älteren, lange Zeit ungenutzten Grabkapelle am Friedhofshügel von Sheikh ´Abd el-Qurna westlich von Luxor – dem früheren Theben – geschlagen worden war. Diese Kapelle gehört zu einer Gruppe monumentaler Felsgräber aus dem späten 15. Jahrhundert v. Chr., die für eine kleine, dem Königshaus nahestehende Oberschicht erbaut worden sind. Seit Ende 2015 untersucht die Universität Basel diesen altägyptischen Elitefriedhof, seine lange Nutzungsgeschichte und seine Umgebung.
Bei dem vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützten Projekt werden mikroanalytische, naturwissenschaftlich orientierte Methoden sowie Präzisionstechnologien in Vermessung und Fotografie angewendet. Die Forschenden beschäftigen sich dabei mit der Materialität archäologischer Hinterlassenschaften, was ihnen Einblicke in Lebensgeschichten von Baustrukturen und Objekten ermöglicht. Diese können Aufschluss geben über Herstellungspraktiken, Verwendungen, persönliche Fertigkeiten, Gewohnheiten und Vorlieben der Menschen, die mit diesen Gegenständen in Berührung kamen.
Die ältesten bekannten Gräber von Sheikh ´Abd el-Qurna gehen auf das frühe 2. Jahrtausend v. Chr. zurück. Seine Blütezeit erlebte der Friedhof im 15. Jahrhundert v. Chr. Aber auch während des ersten vorchristlichen Jahrtausends wurden viele Felsanlagen mehrfach für Bestattungen wiederbenutzt und teilweise umgestaltet. Wesentlich später dienten sie meist lokalen Ansässigen als Behausungen – ein Prozess, der mit der Ankunft frühchristlicher Einsiedler begann und erst im frühen 20. Jahrhundert endete.
Gemeinsam mit Geodäsie- und Geologie-Fachleuten der ETH Zürich ist das Basler Archäologenteam dabei, die natürlichen und erbauten Strukturen des Grabungsareals und seiner Umgebung wissenschaftlich zu erfassen. Für dieses Gebiet erarbeiten die Spezialisten zurzeit geometrisch präzise digitale Höhen-, Landschafts- und Architekturmodelle. Diese werden zu einer archäologischen und geologischen 3-D-Karte zusammengeführt, welche die Morphologie des Geländes sowie die untersuchten unterirdischen Baustrukturen abbildet. Auf dieser Basis wollen die Forschenden später die verschiedenen Entwicklungsstufen und Nutzungsphasen des Gebiets rekonstruieren und simulieren.