»Die Ausgrabungen im Bereich Alter Markt, Piggenstraße, Welle und Gehrenberg sind aus stadtgeschichtlicher Perspektive ein absolutes Juwel«, meint Dr. Sven Spiong, Leiter der LWL-Archäologie in Bielefeld. »Wie im Falle der Ausgrabungen am heutigen Welle-Parkhaus zeigt die umfangreiche und komplexe Befundlage auch hier eindrucksvoll, wie die Menschen zu verschiedenen Zeiten das Gelände genutzt, eingeteilt, neu verteilt und wieder überbaut haben«, erklärt Spiong.
Die Archäologen stießen bereits zu Beginn der Grabungen wenige Zentimeter unter der Erdoberfläche auf Befunde aus dem 13. Jahrhundert. Eine vorstädtische Besiedlung belegen inzwischen Pfostengruben und Stakenreihen, also große und kleine Löcher im Boden. Sie gehören zu Häusern und Zäunchen mindestens aus dem 11. oder 12. Jahrhundert.
Überraschend traten eine Grube und einige kleine Funde zutage, die aufgrund von Keramikscherben in die jüngere Bronze- oder frühe Eisenzeit datiert werden konnten. »Die Gefäßreste zeugen davon, dass hier schon vor etwa 2.500 bis 3.000 Jahren Menschen gesiedelt haben«, erklärt LWL-Archäologin Dr. Julia Hallenkamp-Lumpe. Die Holzkohle aus der Grube wird derzeit an der Universität Köln mit Hilfe der Radiocarbon-Methode datiert, wobei der Kohlenstoffgehalt der organischen Materialien bestimmt wird. »Wir hoffen, so genauen Aufschluss über das Alter dieser Besiedlung zu bekommen«, so Hallenkamp-Lumpe.
Schon jetzt seien die archäologischen Funde in Bielefeld von besonderer regionaler Bedeutung: »Sie sind auch deswegen so interessant, weil in Ostwestfalen-Lippe bisher noch keine bronzezeitliche Siedlung ausgegraben werden konnte, während es dagegen zahlreiche Grabfunde gibt«, erklärt Spiong.
Abgestimmt auf die Bauabläufe wurden am Alten Markt in den vergangenen Monaten immer wieder Flächen archäologisch untersucht. Dabei stießen die Fachleute auf zahlreiche Mauerzüge und Fundamente aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit. Diese gehören teilweise zu Gebäuden, die noch bis in den Zweiten Weltkrieg hinein genutzt worden sind. Nur ein Teil der gefundenen Strukturen ist im Bielefelder Urkataster aus dem frühen 19. Jahrhundert erfasst. Andere Befunde hingegen belegen eine noch ältere Besiedlungsgeschichte, die bisher nicht bekannt war.
»Wie an einer Perlenschnur aufgereiht«, so beschreibt Hallenkamp-Lumpe den Fund zahlreicher Brunnen. Diese dokumentieren die engräumige Parzellierung des Geländes zur Zeit der Stadtgründung im Jahr 1214. »Ihre Anordnung führt zu neuen Erkenntnissen, was den Zuschnitt der Häuser in der Frühzeit der Stadtgeschichte angeht«, erklärt Hallenkamp-Lumpe. »Sie zeigen, über welchen langen Zeitraum die Menschen jahrhundertealte Strukturen auf dem Gelände genutzt haben. Die Brunnen wurden im 13. Jahrhundert angelegt und erst nach dem Bombenangriff auf die Stadt am 30. September1944 verfüllt. »Über 700 Jahre hinweg spendeten sie demnach Wasser«, betont Hallenkamp-Lumpe.
Weitere typische stadtarchäologische Befunde sind große Abfallgruben aus dem Mittelalter und Kloaken. Der Fund von Schmiedeschlacken belegt die Verarbeitung von Eisen vor Ort. Neben den Befunden im Boden erzählen auch Einzelfunde die Geschichte der Bielefelder: So fanden die Archäologen zahlreiche Keramikgefäße und -scherben, die in den Alltag von Haus und Hof gehören. Tierknochen zeugen von Essgewohnheiten. Objekte wie ein kleines Jesuskind aus Pfeifenton weisen in den Bereich der Volksfrömmigkeit. Eine sogenannte Narrenpfeife aus Steinzeug und ungewöhnlich viele Fragmente von spätmittelalterlichen Trinkgläsern kommen hinzu.
Inzwischen wurde fast die gesamte Baufläche am Alten Markt untersucht. »Wir biegen langsam auf die Zielgerade ein«, bestätigt Spiong und ergänzt: »Das Gelände am Alten Markt ist ein archäologischer Glücksfall und zeigt, dass trotz erheblicher Kriegszerstörungen und zahlreicher Bodeneingriffe immer mit dem Überdauern umfangreicher archäologischer Substanz im Boden zu rechnen ist.«
Die archäologischen Untersuchungen werden von einer Grabungsfirma unter Fachaufsicht des LWL durchgeführt und dauern voraussichtlich noch einige Wochen an.