Die Augustinus-Tagung Mitte März im Rom widmete sich der afrikanischen Herkunft des Heiligen Augustinus und besonders der Frage nach der kulturellen Formung der biographischen Räume in der Spätantike, im Mittelalter und im heutigen Maghreb. Während der Heilige Augustinus in der europäischen Tradition eine intensive Rezeption erfahren hat, ist die Erinnerung an ihn im heutigen Maghreb alles andere als selbstverständlich. Hierfür sind nicht nur religiöse Gründe anzuführen, sondern auch historische und kulturelle, die unter anderem mit der spezifischen Aneignung des Augustinus durch die koloniale Kultur verbunden sind. Die Tagung wurde von der Fritz Thyssen Stiftung mit Unterstützung der Görres-Gesellschaft finanziert.
Im ersten Vortrag wies der Althistoriker Konrad Vössing (Bonn) anhand zweier Predigten nach, dass die wahren Hintergründe für Augustins Übersiedelung in die Hafenstadt Hippo Regius, wo er Bischof wurde, keineswegs so eindeutig sind, wie es moderne Biographien nahelegen. Die Altphilologin Therese Fuhrer (München) analysierte anhand von Predigten, wie geschickt Augustinus mit der für Karthago typischen paganen Stadtkultur umging. Sie zeigt auf, wie er gerade nicht zum Bildersturm aufrief, sondern auf die innere Einstellung der Christen einzuwirken verstand und damit sowohl in Kontrast zu Karthagos Paganismus als auch zur christlichen Hauptstadt Rom eine eigene Identität der hiesigen Christen zu formen wusste. Der Kirchenhistoriker Winrich Löhr (Heidelberg) stellte hingegen die autobiographischen Aspekte der Confessiones ins Zentrum seines Vortrags und arbeitete dabei insbesondere die psychologische Komponente heraus, die dem Rhetoriker Augustin dazu verhilft, seinen Text publikumswirksam zu gestalten.
Den Höhepunkt der Tagung bildete der öffentliche Festvortrag der beiden Organisatorinnen Claudia Gronemann (Mannheim) und Anja Bettenworth (Köln), der dem Publikum Einblicke in die moderne Augustinus-Rezeption in der maghrebinischen Literatur und damit in die Ergebnisse des gemeinsamen interdisziplinären Forschungsprojektes bot. Im Mittelpunkt stand dabei die veränderte Wahrnehmung des historischen Augustins im Zuge der Kolonialisierung und der politischen Unabhängigkeit Nordafrikas. Wenn sich die heutige Literatur des Maghreb schwer tut mit der Wiedergewinnung des Nordafrikaners Augustin, so liegt dies – wie die Romanistin Gronemann betont – an der nachhaltigen Wirkmächtigkeit kolonialer Mythen, zu deren festem Bestand die Verortung Augustins in der Afrique latine gehört.
Aus altphilologischer Perspektive widmete sich Moritz Kuhn (Köln) der Vita Augustini des Possidius aus dem Jahr 430, der einzigen zeitgenössischen Augustinus-Biographie, und zeigte dabei, inwiefern der Biograph sowohl die afrikanische Herkunft als auch das Wirken des Bischofs im christlichen Afrika akzentuiert.
Diese hagiographische Darstellung des Augustinus durch den Bischof Possidius stellt auch innerhalb der Tagung den Übergang von der Vita hin zur Frage der augustinischen Erinne-rungsorte und ihrer jeweiligen kulturellen Prägung dar. So zeigte die Kirchenhistorikerin Elena Zocca (Rom) die deutliche Nachwirkung der Biographie des Possidius, insbesondere seines Märtyrer-Modells, auf, die sich während der Epoche der Vandalen in historischen und biographischen Schriften sowie Predigten abzeichneten. Die Mediävistin Anna Esposito (Rom) hingegen analysierte die mittelalterlichen Kirchenbauten des Augustinerordens innerhalb der römischen Stadtarchitektur und verwies darauf, dass diese Anfang des 14. Jahrhunderts von der Peripherie ins Zentrum vorstießen. Der Vortrag von Stefan Ardeleanu (Heidelberg) stellte die im 19. Jahrhundert einsetzende archäologische Spurensuche an Augustinus« Wirkungsort Hippo Regius sowie ihren zeitlichen Wandel vor. Dabei wurden in einer doppelten Bewegung sowohl die Monumente im antiken Stadtareal als auch die koloniale und postkoloniale Prägung ihrer jeweiligen Kommemoration untersucht. Genau diese und weitere Erinnerungsorte des Augustinus fanden die Teilnehmer am gleichen Abend in kinematographischer Visualisierung wieder, als der aktuelle Augustinus-Film Augustin: fils de ses larmes des ägyptischen Regisseurs Samir Seif vor einem breiteren Publikum präsentiert wurde. Der Zeithistoriker Habib Kazdaghli (Tunis) verwies ebenso wie der Literaturwissenschaftler Khalid Zekri (Meknès) auf die äußerst spannungsreichen Bezüge auf Augustinus im modernen Maghreb.
Die Tagung konnte am Beispiel der textuellen Darstellung biographischer Orte und der Entstehung von Erinnerungsorten belegen, dass die mit Augustinus verbundenen Räume in religiöse und kulturelle Diskurse und dabei auch in jene des Eigenen und Fremden übersetzt werden. So ist im heutigen Maghreb eine Abgrenzung von kolonialen Mustern zu erkennen, die sich auch in den kulturellen Spannungen der im Umbruch befindlichen Gesellschaften des Maghreb zeigt und die es weiter zu erforschen gilt.