Die Wissenschaftler aus Bayern wollen die Lücken im Wissen über die letzten Neandertaler durch Feldforschungen schließen. »Von der Krim stammen außerordentlich spät datierte Fundstellen des Neandertalers«, erläutert Prof. Dr. Thorsten Uthmeier vom Lehrstuhl für Ur- und Frühgeschichte der FAU, der die Untersuchungen leitet. Gleich an mehreren Plätzen haben Wissenschaftler typische Werkzeuge, Reste von Jagdbeute und Feuerstellen ausgegraben, die sich durch Bestattungen mit identischen Funden unmittelbar mit dem Neandertaler verknüpfen lassen. Bisherige Altersbestimmungen mit der Radiokarbonmethode haben ergeben, dass diese Überreste etwa 10.000 Jahre jünger sind als alle anderen bekannten Funde des Vormenschen in seinem gesamten Verbreitungsgebiet – das erstreckte sich von der Iberischen Halbinsel bis nach Sibirien.
Außerdem haben Forscher Werkzeuge des Neandertalers und des modernen Menschen in denselben Schichten gefunden. Dies deutet darauf hin, dass sich beide Menschenformen innerhalb von sehr kurzen Zeiträumen nacheinander oder sogar gleichzeitig auf der Krim aufgehalten haben. Hatte man bisher angenommen, Neandertaler und moderne Menschen hätten sich nur einmal vor zirka 60.000 Jahren im Vorderen Orient vermischt, so könnte dies auch wesentlich später auf der Krim passiert sein – ein europaweit einzigartiges Szenario. »Doch bisher wurde der Krimregion wenig Beachtung geschenkt, wenn es um die Frage ging, wohin sich die Neandertaler möglicherweise zurückgezogen haben, als der moderne Mensch nach Europa kam. Hier möchten wir ansetzen«, erklärt Uthmeier.
Wann trafen sich Neandertaler und Homo Sapiens?
In diesem Sommer beginnen die Forscher des Instituts für Ur- und Frühgeschichte an der FAU in enger Zusammenarbeit mit dem Archäologischen Institut der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften an mehreren Fundstellen mit insgesamt auf drei Jahre angelegten Geländearbeiten. Dabei sollen Ausgrabungen an einem Jagdlager und einem Felsdach – Orte, die von Neandertalern genutzt wurden – und an einer Fundstelle des frühen modernen Menschen neue Erkenntnisse zum Verschwinden der Vormenschen liefern. Unterstützt wird das Team der FAU durch Geowissenschaftler der Universitäten Bayreuth, Greifswald und Zürich. Die Forscher wollen die bereits ergrabenen Fundstellen von Neandertaler und Homo sapiens erneut untersuchen. Ihr Ziel ist es, die Zeiträume einzugrenzen, in denen sich Neandertaler und moderner Mensch begegnet sein könnten. Der technische Fortschritt spielt ihnen dabei in die Hände: Heute lassen sich zum Beispiel Knochen mit der Radiokarbonmethode viel präziser datieren als noch vor wenigen Jahren. Außerdem wollen die Wissenschaftler Holzkohleproben untersuchen und deren Alter bestimmen.
Einmalige Erkenntnisse über den Neandertaler erhoffen sich die Forscher von einem besonderen Umstand: Auf der Krim lebten Homo sapiens und Vormensch zur gleichen Zeit in einem geographisch eng begrenzten Gebiet – und waren damit denselben Umweltbedingungen ausgesetzt. Wie gingen die beiden Verwandten damit um? Mit Hilfe von Steinwerkzeugen und der Jagdbeuteresten sollen die Wirtschafts- und Lebensweisen beider Menschenformen rekonstruiert werden. Aufgrund der Rahmenbedingungen erwarten die Projektteilnehmer eine Beantwortung der Frage, ob Neandertaler aufgrund einer grundsätzlich anderen, möglicherweise weniger effektiven oder nachhaltigen Nutzung ihrer Umwelt einen Wettbewerbsnachteil hatten, der zu ihrem Aussterben beigetragen hat, oder ob andere – etwa physische oder soziale – Gründe eine Rolle gespielt haben. Insgesamt hofft das Team der FAU zusammen seinen deutschen und ukrainischen Kooperationspartnern, nach Ablauf des Projektes neue Erkenntnisse zum Überleben und Aussterben der letzten Neandertaler sowie zur Ausbreitung des modernen Menschen in das westliche Eurasien beitragen zu können.