Zum Abschluss der diesjährigen Kampagne des multilateralen Forschungsprojektes »BeLaVi« (Beyond Lake Villages/=jenseits der Seeufersiedlungen), das das Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart von 2015-2018 zusammen mit Fachkollegen aus Österreich und der Schweiz durchführt, stellten die Forscher der Baden-Württembergischen Landesarchäologie vor Ort am Zellersee in Kißlegg, Lkr. Ravensburg am heutigen Donnerstag, 01. Dezember 2016 die neuesten Projektergebnisse, die angewendete Technik und Methoden vor.
»Bisher sind wir immer davon ausgegangen, dass die Bauern der Jungsteinzeit im Gebiet des heutigen Baden-Württemberg nur in der Donauregion, am Bodensee und rund um die oberschwäbischen Seen siedelten«, sagte Prof. Claus Wolf, Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart. »Jetzt wissen wir, dass sie ihre Dörfer durchaus auch zwischen Schussen und Aitrach und im Alpenvorland errichteten. Damit konnte eine Forschungslücke geschlossen werden«, betont Wolf.
Die neuentdeckten, etwa 6.000 Jahre alten, steinzeitlichen Dörfer sind sehr unterschiedlich, sowohl was die Konstruktion ihrer Häuser als auch ihre Lage in der Landschaft angeht:
- Seeufersiedlungen, wie am Bodensee, wurden am Degersee und wahrscheinlich am Schleinsee bei Kressbronn (beides Bodenseekreis) lokalisiert.
- Bei Bodnegg (Lkr. Ravensburg) und in Neukirch (Bodenseekreis) wurden die Überreste von typischen Feuchtbodensiedlungen aufgedeckt, wie sie z.B. von der UNESCO Welterbestätte Olzreute (Kr. Biberach) bekannt sind. In Bodnegg wurde zudem eine mächtige Herdstelle aus Lehm und Steinen freigelegt.
- Bei Leutkirch (Lkr. Ravensburg) handelt es sich hingegen um eine jungsteinzeitliche Höhensiedlung, die über dem Flusstal der Eschach lag. Sie weist zusammen mit Einzelfunden und den im Wasser und Moor erhaltenen Überresten von Wegen auf uralte Verkehrsverbindungen zwischen Donauraum, bayerischem Alpenvorland und der Bodenseeregion hin.
Weitere archäologische Geländearbeiten wurden in Ravensburg und im Landkreis Ravensburg, so bei Vogt, am Rohrsee bei Rohrdorf, am Mittelsee bei Primisweiler, bei Achberg sowie in der Hügellandschaft rund um den Degersee vorgenommen. Hier in Kißlegg am Zellersee fanden nun abschließende Tauchuntersuchungen statt.
Um alle Aspekte des täglichen Lebens in den Steinzeitdörfern gründlich erforschen zu können, begleiten umfangreiche naturwissenschaftliche Untersuchungen von Archäobotanikern, Dendrochronologen und Sedimentologen die Arbeit der Archäologen.
So können die dendrochronologisch (durch wissenschaftliche Bestimmung des Holzalters) jahrgenau datierbaren Siedlungsrelikte präzise mit jährlich geschichteten Seeablagerungen verknüpft werden. Zusammen mit den in den Seeablagerungen erhaltenen mikroskopisch kleinen Pollenkörner von Pflanzen und Pilzsporen kann damit zukünftig auf die jungsteinzeitliche Umwelt, das vor ca. 6.000 Jahren herrschende Klima und die genaue Wirtschaftsweise der damaligen Menschen geschlossen werden. Im Ergebnis wird das Projekt BeLaVi ein Umwelt-, Wirtschafts- und Klimaarchiv mit einer bisher auch im internationalen Rahmen nicht gekannten Informationsdichte erstellen.
Ebenso wichtige wie auch bestürzende Erkenntnisse für die konservatorische Arbeit der Landesdenkmalpflege lieferte das Projekt BeLaVi quasi »nebenbei«: Die fortschreitende Entwässerung der Moore und Feuchtwiesen führt unweigerlich zur Austrocknung und damit zur endgültigen Zerstörung dieser wichtigen Geschichtsquellen. Das Landesamt für Denkmalpflege erarbeitet deshalb in engem Kontakt mit den Naturschutzbehörden Konservierungs- und Rettungsmaßnahmen für diese Archive der Vergangenheit.