Auslöser sind Kalenderberechnungen der Maya - eine Hochkultur, die selbst längst untergegangen ist. Mit ihr beschäftigt sich auch Andreas Fuls, Wissenschaftler des Instituts für Geodäsie und Geoinformationswissenschaft der TU Berlin. Sein verblüffendes Ergebnis: Die Maya-Kultur und ihre einzelnen Phasen datiert der Archäoastronom völlig anders als die bisherige Maya-Forschung. Nach seinen Berechnungen spielte sich die Geschichte der mittelamerikanischen Hochkultur 208 Jahre später ab als bislang angenommen. Das hat Folgen für die Interpretationen der Maya-Prophezeiungen und ihre Datierung. So würde der angenommene Weltuntergang nicht für den 21.12.2012 gelten, sondern für das Jahr 2220.
Bisher galt unter Maya-Historikern eine vor Jahrzehnten entwickelte Standardchronologie als unumstößlich: Demnach lag etwa die "Klassik", in der die Kultur ihre Blütezeit erreichte, ungefähr im dritten bis neunten Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Ab 900 n. Chr., so glaubte man, gaben die Maya immer mehr Städte auf, die Bevölkerungszahlen sanken, schließlich kollabierte die Gesellschaft. Diese Datierung stützte sich vor allem auf Dokumente der Kolonialherrschaft aus dem 16. und 17. Jahrhundert, anhand derer Ereignisse der Maya-Geschichte datiert wurden.
Seit Jahren versucht Fuls Einzelereignisse der Kultur in diese Chronologie einzupassen - mit bislang ungenutzten Methoden: Kalender und Monumente, die heute noch erhalten sind, geben nicht nur Auskunft über Daten der Maya-Geschichte, beispielsweise Herrscherwechsel, religiöse Feste oder Kriege. Sie enthalten auch Angaben zum Sonnenstand, zum Mondalter, zu Finsternissen sowie zur Sichtbarkeit der Venus. "Doch bei den Stichproben ergaben sich immer wieder Lücken", sagt Fuls. Damit war die Forschungsfrage für seine Dissertation geboren: Auf welche Daten unseres Kalenders passen die Angaben der Maya?
Fuls' Hauptquelle war der "Dresdener Kodex", die Abschrift eines Maya-Kalenders, die heute in der Sächsischen Staats- und Landesbibliothek lagert. Auf 39 eng mit Hieroglyphen beschriebenen und mit Kalk beschichteten Seiten führt das Faltbuch Ereignisse aus der Maya-Zeit, beispielsweise religiöse Kulte, sowie ihre astronomischen Merkmale auf. Fuls verglich die Angaben mit denen auf Maya-Monumenten in Mexiko, um sicherzugehen, dass seine Interpretationen der astronomischen Kalenderdaten richtig sind. Am Ende prüfte er die Kombinationen in den Einträgen mit einem speziell entwickelten Computerprogramm. Damit kann er auf den Tag genau berechnen, wann in den vergangenen Jahrhunderten Finsternisse eintraten oder wie sich Mond- und Venuslaufbahn verhielten. So wie die drei astronomischen Ereignisse, die am 19. Dezember des Jahres 830 n. Chr. in Mittelamerika zusammen kamen: Es war Wintersonnenwende, zugleich Neumond und die Venus zeigte sich das erste Mal in einem neuen Zyklus als Morgenstern. Diese Kombination ist so selten, dass Maya-Gelehrte sie damals in einem Kalender vermerkten - natürlich ohne die Datumsangabe nach unserer Zeitrechnung.
Dieses und die im Kodex aufgelisteten Ereignisse ließen sich mit seiner Methode eindeutig in der unserer Zeitrechnung festmachen, allerdings 208 Jahre später als in der gängigen Datierung. Die klassische Phase der Maya-Geschichte würde demnach im fünften Jahrhundert beginnen und ihr Niedergang etwa ab dem Jahr 1100 n. Chr. Die Frage, warum die Maya ihre Zentren aufgaben und ihre Kultur unterging, müsste folglich neu aufgerollt werden.
Die häufigste Reaktion anderer Maya-Forscher auf die neue Datierung sei bisher jedoch "totale Ablehnung" berichtet Fuls. Doch es gibt auch ihn bestärkende Reaktionen. Beispielsweise spricht die Datierung von Obsidian, einem vulkanischen Gestein in Mexiko, für seine Datierung. Außerdem hat sich ein spanischer Epigraphiker bei ihm gemeldet, der bei seinen Untersuchungen der Maya-Schriften, wenn er der alten Zeitrechnung folgte, immer auf eine Lücke von rund 200 Jahren stieß. Die wäre nach den neuen Erkenntnissen geschlossen. Und einige andere Forschungsergebnisse, auf die sich die Verfechter der Standardchronologie beziehen, würden zumindest nicht gegen Fuls' Datierung sprechen. So beispielsweise die Radiokarbonmethode für die eine Ungenauigkeit von etwa 150 Jahren gelte. "So taggenau wie die Astronomie ist einfach keine andere Methode", betont der Wissenschaftler. Sein vorläufiges Fazit: "Ich habe eben einen Status quo angegriffen, und die Diskussion hat gerade erst begonnen".