"Gemmen sind die bildlich vielfältigste antike Gattung überhaupt und weit mehr als eine schöne Zier. Durch ihre Fähigkeit, auf kleinstem Raum Einblicke in die verschiedensten Bereiche antiken Lebens zu gewähren, wurden sie schon in der Renaissance gesammelt und zu lehrreichen Schätzen des Bürgertums in den Zeiten der Aufklärung", sagt Dr. Jörn Lang vom Institut für Klassische Archäologie und Antikenmuseum der Universität Leipzig.
Aufgrund ihres äußerst geringen Formats von 1 bis 3,5 Zentimetern sind die eingeschnittenen Bilder der Gemmen nicht leicht zu erkennen und die Stücke deshalb schwer ausstellbar. Nun wird diese faszinierende, vielfältige Gattung antiken Kunstschaffens in der Sonderausstellung "Edle Steine: Lehrreiche Schätze einer Bürgerstadt" ab dem 2. Mai der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. "Virtuelle Präsentationsformen bieten zusätzlich nicht nur eine optisch auffällige Ergänzung, sondern auch einen inhaltlichen Mehrwert. Denn dank moderner Technik werden selbst winzigste Details der kleinen Bilder sichtbar gemacht", kündigt Lang an. Ermöglicht wurde die Präsentation durch die enge Zusammenarbeit mit dem Institut für Kunstpädagogik, dessen Studierende wesentliche Teile der Ausstellung gestaltet haben.
Die Ausstellung zeigt darüber hinaus eine der wenigen bürgerlichen Gemmen-Kollektionen, die nahezu vollständig rekonstruiert werden konnte, und spannt den Bogen von den edlen Steinen über deren Reproduktion bis hin zu ihrer Herstellung und Verwendung. Dadurch stehen nicht nur die antiken Objekte selbst im Fokus, sondern auch ihre Wahrnehmung und Erforschung im Umfeld einer kunstsinnigen Bürgerschaft des 18. Jahrhunderts. "Ein besonderer Glücksfall ist, dass mit dem hölzernen Kabinettschränkchen sogar das ursprüngliche Aufbewahrungsmöbel dieser Sammlung erhalten ist", ergänzt der Archäologe, der das Gemmen-Projekt initiiert und geleitet hat.
Der Ausstellung geht eine intensive wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Leipziger Gemmen voraus. "Mit dem Ausstellungskatalog ist so ein wichtiger, aber ungewöhnlicher Bestand des Leipziger GRASSI Museums für Angewandte Kunst erstmals wissenschaftlich bearbeitet worden. Dies war nur möglich dank einer Kooperation mit dem Institut für Klassische Archäologie der Universität Leipzig und dem Engagement der Studierenden des Fachs Archäologie der Alten Welt. Die Studierenden haben Antike aus erster Hand erfahren und geben die Ergebnisse ihrer Arbeit nun an das Publikum weiter", freut sich Dr. Martin Hoernes, Generalsekretär der Ernst von Siemens Kunststiftung, die die Ausstellung durch ihre finanzielle Unterstützung wesentlich gefördert und den Druck des Bestands- und Ausstellungskataloges ermöglicht hat.
Für die Antikensammlungen seit der Renaissance sind Gemmen von hohem Wert. "Im 18. und 19. Jahrhundert waren sie für die Gelehrten eine der wichtigsten Gattungen für das Studium antiker Kunst", berichtet Lang. "Kein geringerer als der berühmte Archäologe Johann Joachim Winckelmann gestand ihnen sogar zu, Antike in einer besonders authentischen Form zu überliefern." Insbesondere in aristokratischen Sammlungen genossen die kleinen "Juwelen", die oft auch in Ringen getragen wurden, einen hohen Stellenwert.Aber nicht nur die europäischen Fürstenhöfe, sondern auch die bürgerlich geprägte Messe- und Universitätsstadt Leipzig besaß eine umfangreiche Sammlung antiker Gemmen. Im 18. Jahrhundert erwarb der Rat der Stadt Leipzig für 2.000 Taler vom Hofrat Jacob Benedict Winckler diese Sammlung, die durchgehend im Besitz der Stadt war. Ihr größter Teil befindet sich heute in den Depots des GRASSI Museums für Angewandte Kunst. "Die Vielfalt dieser Sammlung dürfte bislang nur wenigen Interessierten bekannt sein", so Lang. Über 100 Gemmen aus diesem Bestand werden präsentiert.
Mit der Wahl des Antikenmuseums als Ausstellungsort schließt sich der Kreis zum Beginn der Erforschung antiker Gemmen und der Ausformung des heutigen Faches Archäologie, die den Gelehrten der Universität Leipzig wichtige Impulse verdankt. Zudem leistet die Sonderausstellung einen spannenden kulturhistorischen wie wertvollen wissenschaftlichen Beitrag zum 1.000-jährigen Jubiläum der Stadt Leipzig.